Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
dieser Kuss, den du mit angesehen hast, alles war, was zwischen mir und Helene jemals war oder sein wird. Bitte verzeih mir, Bruder!«
»Wie kannst du es wagen, den Namen des Herrn in den Mund zu nehmen? Wo du ihn mit deinem Dreck besudelt hast.« Blitzartig hatte Georg Johannes am Kragen gepackt und schüttelte ihn.
»Ich weiß, dass es nicht recht war, und ich werde beichten und Buße tun.«
»Beichten und Buße tun«, wiederholte Georg bitter und stieß den Bruder von sich. »Und dann ist alles wieder gut, ja? Und was ist mit Anna? Wird für deine Frau auch alles wieder gut werden, wenn ich ihr erst erzählt habe, was ihr frommer Gatte mit der Kirchensekretärin in den Feldern treibt?«
Eine glühende Hitze schoss Johannes in Brust und Gesicht.
»Lass Anna aus dem Spiel!« Ehe er sich’s versah, holte er weit aus und schlug Georg mit der flachen Hand ins Gesicht. Georg hielt sich die feuerrote Wange und starrte ihn ungläubig an. Noch bevor Johannes etwas Entschuldigendes hätte sagen können, spürte er die Fäuste des Bruders. Erst im Gesicht, dann auf Brust und Bauch. Dieses Mal wehrte er sich nicht, schützte nur mit verschränkten Armen den Kopf.
»Schlag nur zu, ich habe es verdient. Aber ich bitte dich, halte Anna da raus.« Ein Fausthieb traf ihn von der Seite. Johannes begann zu taumeln, verlor das Gleichgewicht. Krachend fiel er gegen das schwere Holzregal, und ein Teil der eben erst einsortierten Bibeln fiel den Brüdern vor die Füße. Dann, als hätte ihn alle Kraft verlassen, ließ Georg die Fäuste sinken, ging in die Hocke und weinte, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Warum hast du das getan, Bruder?« Er schaute langsam auf, als Johannes neben ihm niederkniete und ihm behutsam den Arm um die Schultern legte.
»Ich weiß es nicht, doch ich wollte bestimmt niemandem weh tun.«
»Und was ist mit Helene? Liebst du sie denn? Liebt sie dich?«
Johannes meinte, etwas wie Hoffnung in den tiefgrünen Augen des Bruders schimmern zu sehen, doch statt ihm zu antworten, stand er auf, wobei er sich leise stöhnend die schmerzende Rippe hielt.
»Komm, gib mir deine Hand. Ich helfe dir auf.« Georg schien einen Augenblick nachzudenken, ließ sich dann aber vom Bruder hochziehen. Sie sahen einander an.
»Ich verstehe.« Georg nickte und wischte sich an der Hose den Staub von den Händen.
»Wirst du Anna etwas sagen?« Johannes sah den Bruder ernst an. Georg schob sich mit dem Ärmel eine verschwitzte Strähne aus der Stirn und hob den verbeulten Hut auf. Johannes hielt den Atem an, dann schüttelte Georg den Kopf.
»Du hast es wahrlich nicht verdient, so davonzukommen, aber ich werde schweigen, Anna zuliebe.« Johannes schloss vor Erleichterung kurz die Augen, atmete tief ein.
»Danke«, sagte er.
»Ich kann nicht länger im Dorf bleiben. Euch zu sehen und gleichzeitig zu wissen, dass …« Georgs Stimme versagte, und er sah auf seine Hände, die den Hut drehten.
»Du darfst nicht gehen, Georg! Ich habe dir doch versprochen, dass es sich nicht wiederholen wird.«
Georg schwieg, und um die spannungsgeladene Stille mit irgendetwas zu füllen, sammelte Johannes die im Streit zu Boden gefallenen Bibeln auf und stellte sie ins Regal zurück. Georg drückte sich den Hut auf den Kopf und sah den Bruder an. »Mein Entschluss steht fest. Ich gehe.«
Johannes zog besorgt die Brauen zusammen.
»Wo willst du denn hin?«
»Ich weiß es noch nicht genau. Vielleicht nach Van Diemens Land. Vater kennt doch den alten Pastor dort noch aus Schultagen. Und weit genug weg von allem wäre es ja.«
Johannes schluckte schwer. Welche Schuld hatte er da nur auf sich geladen?
»Ich bitte dich, Georg, schlafe wenigstens noch eine Nacht darüber. Morgen sieht die Welt vielleicht schon wieder ganz anders aus.« Er hätte sich für seinen letzten Satz ohrfeigen können. So redete er sonst nur mit Kindern. Georg lachte auch schon dunkel auf.
»Spar dir die Mühe. Mein Entschluss steht fest. Überleg dir lieber, wie wir das hier erklären.« Er wies mit einer umfassenden Geste auf das Chaos ringsum. Überall verteilt lagen Papiere, die die Streithähne im Kampf vom Schreibtisch gefegt hatten; umgestoßene Stühle und das im Staub liegende Messgewand ergänzten das wenig friedvolle Bild. Johannes sah übel zugerichtet aus. Seine gekrümmte Haltung verriet die angeknackste Rippe, hinzu kamen ein geschwollenes Auge und eine leichte Platzwunde auf der Stirn, die allerdings nicht allzu stark blutete. Georgs Wange trug
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