Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Fenster gelehnt war. Darauf bedacht, keines der Kinder zu wecken, kletterte Gottfried vorsichtig über Cardinia hinweg und öffnete sachte die Tür.
»Ich vertrete mir kurz die Beine, wenn’s recht ist«, flüsterte er Barnes ins Ohr, der eben selbst erst von einem Rundgang zurückgekehrt war. Barnes nickte nur stumm und biss in ein Stück Brot.
Nach der langen Fahrt genoss Gottfried die frische Seeluft. Er ging eine Weile auf und ab, um die steifen Glieder zu bewegen. Jetzt stand er neben der Kabine des Fährmanns und starrte aufs dunkle Wasser hinaus. Wieder wanderten seine Gedanken zu Helene. Seit er sie kannte, ließ dieses Weib ihn einfach nicht mehr los. Wie sie sich bewegte, sich das Haar aus dem Gesicht strich, ihr Lächeln. Es war ihre Schuld. Weil sie mit ihrer Art allen, nicht nur ihm, den Kopf verdrehte! Doch nun war alles gut. Ruhe breitete sich in seinem Inneren aus. Nun hatte er das Kind, und es gab nichts, was Helene dagegen unternehmen konnte. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit tiefster Befriedigung.
Am Horizont erkannte er die Hafenlichter von Palm Island. Nicht mehr lange, und sie waren da. Wie oft er diese Reise in den letzten Monaten wohl schon unternommen hatte? Dreimal, viermal? Es war anstrengend, aber die Regierung zahlte gut, und genau das war es, was Zionshill brauchte. Er hatte mit der Zeit die Lust verloren, bei den Neu Klemzigern wie ein armer Verwandter zu betteln. Der Teufel sollte sie und ihre Selbstsucht holen! Gottfried spuckte ins Wasser, wie um den bitteren Geschmack loszuwerden, den die Gedanken an die Brudergemeinde bei ihm ausgelöst hatten.
Dann schüttelte er unwillkürlich den Kopf und lachte laut auf. Seine über Jahre gehegten Hoffnungen erfüllten sich am Ende doch noch. Er hatte tatsächlich Helenes Geheimnis entdeckt, er hatte ihre Tochter. Es würde Helene zermalmen. Wie ein winziges Weizenkorn zwischen zwei Mühlsteinen würde ihr widerständiger Geist zerquetscht und zerrieben, sobald sie erkannte, was geschehen war. Gottfried presste die zu Fäusten geballten Hände an die Oberschenkel. Er war dieser Stein. Er hatte die Kraft, sie zu brechen. Er, Gottfried, war stärker als die meisten Menschen, und nun würde es selbst Helene begreifen. Hast du etwa im Ernst geglaubt, du könntest dich mit mir anlegen? Er war sich sicher, dass sie sein Notizbuch gestohlen hatte, und seither glaubte sie wohl, er sei erpressbar und sie hätte nichts von ihm zu befürchten. Hier kommen die neuesten Nachrichten, Helene: Es ist mir völlig egal, was du mit dem Buch anstellst! Neu Klemzig schert mich einen Dreck. Ich habe Geld genug, ich kann auf die Brüder verzichten. Und mit ihnen habe ich auch das Interesse an Salkau verloren. Womit willst du mir also drohen? Wen soll es interessieren, was ich irgendwann über all die dummen Leute in mein Büchlein geschrieben habe? Er hielt sich jetzt mit beiden Händen an der Reling fest und lachte wieder. Womit, Helene, womit willst du mir drohen?
Cairns, 11. Februar 2010
I n den letzten Stunden hatte sich der graue Himmel wie ein Deckel auf die Stadt gelegt, und in der Ferne zuckten erste Blitze. Natascha schaffte es nicht mehr vor dem großen Regen ins Rattle ’n’ Hum, wo Alan sie am Abend treffen wollte. Er war mit Mitch von Townsville nach Cairns gefahren und erst vor einer halben Stunde angekommen. Natascha war noch ganz benommen von ihrer Begegnung mit dem Pastor und hatte sich den Nachmittag über in den kühlen Shopping Malls der Stadt herumgedrückt. Jetzt war sie heilfroh, als Alan sie an der Bar gleich in die Arme nahm.
»Du bist ja durchgeweicht wie ein herrenloser Hund.« Er schnüffelte an ihrem Haar. »Gottlob riechst du wenigstens nicht so«, scherzte er und drückte sie wieder an sich. Er bestellte zwei Bier. Sie setzten sich nach draußen unters Vordach, um dem Regen und den Menschen auf der Esplanade zuzuschauen, die versuchten, sich vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen. Natascha berichtete von Pastor Edwards, und sofort schwammen ihre Augen wieder in Tränen.
»Entschuldige«, sagte sie, als sie sich mit der Hand über die Augen wischte, »ich muss immerzu daran denken. Ich finde die ganze Geschichte so unendlich traurig. Und dann bin ich wütend auf mich selbst, dass ich nie mit meiner Großmutter oder meiner Mutter über Australien geredet habe. Hat meine Mutter gewusst, was ich mittlerweile weiß?« Ein Schluchzen zuckte durch ihren Oberkörper, und Alan zog sie zärtlich an sich. Sie sah ihn aus
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