Der geheimnisvolle Highlander
seinem Turm. »Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du eine sehr lebhafte Fantasie hast?«
Meg konterte seinen Zug, indem sie seinen verbleibenden Läufer bedrohte. »Nein«, entgegnete sie, fest entschlossen,
sich nicht abhalten zu lassen. »Nun beantworte meine Frage.«
»Ich kam an den Hof, um Arbeit zu finden, und ich verließ den Saal, um von Dougal fortzukommen – wie du nun weißt, verachte ich den Mann.«
»Ich glaube nicht, dass das alles ist.«
»Glaub, was du willst, aber das ist die Wahrheit.« So gleichgültig, wie er die Schultern zuckte, wusste Meg, dass sie irgendeiner Sache auf der Spur war.
Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Nein, das ist es nicht.« Mit forschendem Blick suchte sie in seinem Gesicht nach einem Riss in der Maske. »Ich werde die Wahrheit herausfinden, zweifle nicht daran!«
Doch ihre Drohung schien ihn nicht zu beunruhigen. Er kräuselte einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. »Meg?«
»Was?« Sie sah auf das Schachbrett hinunter, und der Mund blieb ihr offen stehen. Unmöglich!
»Schachmatt!«
»Wie schade, dass ich das verpasst habe«, jammerte ihre Mutter eine Stunde später. Elizabeth hatte ihr gerade alles über Alex’ unerwarteten Coup erzählt.
Kopfschüttelnd sah Meg ihre Mutter an. Sie freute sich viel zu sehr über Megs Niederlage. »Es ist nur ein Spiel, Mutter.«
»Nur ein Spiel!«, rief ihre Mutter gespielt ungläubig aus. »Wie oft habe ich dich und deinen Vater über das Spiel der Könige reden hören? Der große Schiedsrichter über den Intellekt. ›Es verrät viel über einen Menschen, wie er Schach spielt‹«, ahmte sie ihre Tochter nach. »Gibst du es nun zu?«
»Was zugeben?«
»Sei nicht begriffsstutzig, Margaret. Natürlich zugeben, dass Alex MacLeod die perfekte Wahl für dich ist.«
»Nur weil er mich beim Schach geschlagen hat? Ich bin nicht perfekt, Mutter. Gelegentlich verliere ich auch mal.«
Obwohl Meg das scherzhaft gesagt hatte, wurde ihre Mutter ernst. »Es ist völlig in Ordnung, nicht perfekt zu sein, Meg.«
Ist es nicht , protestierte Meg automatisch in Gedanken und dachte dabei an ihren geliebten Bruder. »Natürlich«, stimmte sie zu.
Rosalinds stets lächelnder Gesichtsausdruck wurde ungewöhnlich ernst. »Du bemühst dich zu sehr, nicht zu versagen und immer das Richtige zu tun. Ich habe erst vor Kurzem erkannt, warum das so ist. Aber du brauchst dich nicht so unter Druck zu setzen, Meg. Ich liebe meine Kinder beide, und dein Vater auch – selbst wenn er nicht immer weiß, wie er es zeigen soll.«
Meg hoffte das, Ian zuliebe. Warum war die Liebe ihres Vaters immer von Enttäuschung und Bedingungen begleitet?
Meg betrat das kleine Arbeitszimmer und sah Ian mit einer Feder in der Hand und den blonden Kopf über ein Stück Pergament gebeugt am Schreibtisch ihres Vaters sitzen. Furcht überkam sie, als sie erkannte, dass Ian wieder eine Unterrichtsstunde bekam.
»Nein, Ian. Nicht so«, sagte ihr Vater um Geduld bemüht. »Du hast es wieder falsch zusammengezählt. Ein Silbermerk sind 13 Shilling und vier Pence. Also beträgt die Pacht von 24 Merk …«
Meg konnte die Hilflosigkeit in der Stimme ihres Bruders hören. »Ich kann das nicht, Vater.«
»Natürlich kannst du es.« Ihr Vater klang nun härter. »Versuch es noch einmal.«
Ians Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Er versuchte es wieder. Megs Herz raste nervös, während er ein paar Zahlen auf das Pergament kritzelte. Sie hasste es, zu sehen, wie er sich abmühte. Sie wusste, dass er den Tränen nahe war, und ihr Vater verabscheute es, wenn Ian weinte. Große Jungen von sechzehn Jahren weinten nicht.
»Du weißt es doch noch, Ian«, kam Meg ihm zu Hilfe. »Du hast es gestern doch richtig gemacht.« Sie beugte sich vor und zeigte ihm den Rechenansatz auf. Ian konnte gut genug multiplizieren und dividieren; was ihn meist überforderte, war herauszufinden, was er tun sollte. Innerhalb weniger Minuten sagte er stolz: »Fünfzehn Schottische Pfund und sechs Shilling.«
Ihr Vater nickte zufrieden, doch sein Lächeln galt Meg.
Ihre Mutter wollte die Wahrheit nicht sehen. Ihr Vater wusste nicht, wie er mit Ian umgehen sollte. Meg hatte die ganze Kindheit damit verbracht, ihren Bruder vor der Enttäuschung ihres Vaters zu beschützen. Indem sie verhinderte, dass es ihrem Vater so vorkam, als habe er keinen Erben, vergewisserte sie sich, dass er sich nicht auf Ians beschränkte Fähigkeiten konzentrierte. Doch Meg wollte nicht über
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