Der Geheimtip
fast normal, allenfalls ziemlich hungrig. Und die Erregung von vorhin war einem Zustand der Wurschtigkeit gewichen.
Als er zur Rechten im Licht seiner Scheinwerfer eine Art Heuschober erblickte, stoppte er abrupt.
Er stieg aus und lugte hinein. Wirklich, das Ding war leer! Eine richtige kleine Wohnung!
Es war eine milde Nacht. Egon betrat die neue Luxusherberge und ließ sich auf das Heu fallen, das ihm mit einem strengen, starken Duft die Sinne benebelte. Er dachte noch ganz kurz an Alma in Aberlingen und an Herrn Pettenkamp, der plötzlich mit der entzückenden Silva in einem bunten Riesenluftballon anschwebte. Alma saß auch drin und hatte ein neues Halsband um; Egon lächelte im Schlaf.
5
Silva war es inzwischen gar nicht nach Lächeln zumute. Im ›Reid's‹ herrschte bereits große Aufregung. Der Gast aus der ›Herzogin-von-Kent‹-Suite war mit seinem Mietwagen nicht von der gefährlichen Nordtour zurückgekehrt.
Der Herr an der Rezeption behauptete dreist, er hätte ihm noch abgeraten, und auch der Autovermieter sagte, er hätte den Gast energisch gewarnt.
Der Mann am Kiosk konnte noch zum besten geben, daß der lavendelfarbene Mensch sich einen rosa Seidenschal gekauft und um den Hals geschlungen hätte. Man müsse ihn, meinte er, auf Meilen erkennen. So knallbunt wie der angezogen war!
Aber es half nichts. Von dem verschwundenen Gast war nirgendwo eine Spur zu finden.
Silva war außer sich. Sie hatte ihm doch noch zugewinkt und Kußhändchen geworfen. Doch was wußte man schon im Grunde über einen Menschen, den man so kurz kannte, selbst wenn man ihn sehr gern hatte?
Der Manager vom ›Reid's‹ wollte die Polizei verständigen. Das tat er nicht gern. Jedes Aufsehen zu vermeiden gehört zu den Grundsätzen eines Spitzenhotels. Aber ein Menschenleben ging natürlich vor.
Der Oberkellner, der es in seiner Jugend beim Militär zum Leutnant gebracht hatte, schlug schneidig vor, sogleich einen Suchtrupp zu organisieren. Selbstverständlich unter seiner Leitung. Mit Fackeln und Hunden, ganz wie im Kino. Er strahlte bei dieser Aussicht. Das würde eine wundervolle Abwechslung sein zu all den Verbeugungen und der Entgegennahme von Bestellungen und selbst von erfreulichen Trinkgeldern.
Silva erinnerte sich an das Versprechen, das sie Rino Peinto gegeben hatte. Und sie dachte an Egons glückliches Gesicht, als er sie im Bus entdeckt, und wie unglücklich er hinter ihr hergewinkt hatte.
Ein wenig, aber wirklich nur ein ganz klein wenig, dachte sie auch an die Summe, die Rino ihr geben wollte, wenn sie den Deutschen übers Wochenende aus dem Verkehr zog.
Ihr dämmerte, daß es keine bessere Lösung geben konnte als einen in den Bergen Verschollenen. Doch gleichzeitig nagten Angst und Sorge an ihr. Was, wenn ihm nun wirklich etwas passiert war?
Er wirkte so vertrauensvoll. Ohne jeden Argwohn hatte er ihr sein Herz ausgeschüttet. Das war ein großes Erlebnis gewesen für eine junge Frau, die an Männer gewöhnt war, die wie Gockel herumstolzierten und alberne Komplimente austeilten. Oder an dickköpfige Herrschernaturen wie ihren Papa. Sie alle nahmen Frauen nicht ernst und hätten ihnen niemals Vertrauen entgegengebracht.
Ja, Silva sorgte sich um diesen Egon Meier mit den blitzeblauen, klaren Augen. Wenn sie sich aber sorgte, war sie ganz ihres Vaters Tochter. Sie nahm die Dinge selbst in die Hand, weil sie im Grunde überzeugt war, daß niemand sonst die Sache ordentlich und richtig erledigen konnte.
Deshalb stellte sie diplomatisch fest: »Beide Vorschläge sind natürlich sehr gut. Ich würde sagen: Sie sind hervorragend. Andererseits würden wir aber auch mit beiden Aktivitäten einiges Aufsehen erregen. Das ließe sich gar nicht vermeiden. Zum Beispiel würde der kleine Reporter von unserer Zeitung ganz gewiß Wind davon bekommen und auf seinen krummen Beinen hier andackeln, nicht wahr?«
Hier nickten die beiden Herren trübe, und der Manager zuckte sogar zusammen.
Silva fuhr fort: »Ich bin sicher, daß ich den Fall ganz persönlich lösen kann, und zwar auf elegante Art. Und ohne jedes Aufsehen!«
Der Manager strahlte so offensichtlich, daß es ganz nach Beförderung und Gehaltserhöhung aussah.
»Wie wollen Sie das anfangen?« erkundigte er sich mit einem Rest von Mißtrauen. Natürlich, die junge Dame kam aus einem guten Stall, das bürgte in gewisser Weise für Qualität. Trotzdem durfte man eben nicht vergessen, daß es sich nur um eine Frau handelte. Da war Vorsicht am Platze.
Silva
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