Der Geheimtip
Ihnen auf Ihrem Zimmer war.«
»Das ist nicht möglich!« behauptete er dumpf.
Egon hatte zwar in letzter Zeit vieles erlebt, was er in Aberlingen nie für möglich gehalten hätte, doch das hier ging nun doch über jedes glaubhafte Maß hinaus.
Da stand ein Geschöpf, das nicht nur so aussah wie seine angebetete Silva, an die er in den letzten Stunden gedacht, von der er geträumt, nach der er sich gesehnt hatte. Nein, dieses Geschöpf behauptete jetzt auch noch, wirklich Silva zu sein. Wahrscheinlich hatte er hohes Fieber. Als Kind hatte er dabei manchmal fantasiert. Einmal hatte er gedacht, er schwimme im Teich zwischen lauter bunten Fischen.
»Weinen Sie?« fragte er, weil man ja immerhin den Versuch machen konnte, mit Engeln zu reden, wenn man sie denn schon erblickte.
Der Engel nickte.
»Ich habe mich so geängstigt. Ihretwegen!«
Er riß die blauen Augen auf.
»Geängstigt? Meinetwegen?!«
Er schloß kurz die Augen und schüttelte lächelnd den Kopf. Klar, er fantasierte. Noch nie hatte sich seinetwegen jemand wirklich geängstigt. Selbst Alma nicht. Sie war eben ein dummes Hundchen.
Silva glitt zu ihm hin und kauerte sich an seinem Lager nieder. Es duftete nach Kräutern wie ein Reformkostladen.
»Ich hatte furchtbare Angst«, flüsterte sie.
»Warum hatten Sie denn Angst? Es ist nichts passiert«, sagte er und musterte seinen Engel.
Allmählich wurde er völlig wach. Das Mädchen, so dicht neben ihm, war wirklich. Haut und Haar und Blütenduft. Jetzt knipste es die Taschenlampe aus.
Egon richtete sich halb auf und öffnete die Arme.
»Silva!«
Und das Wunder ging weiter. Sie schmiegte sich in seine Arme.
»Egon! Liebster!«
Oh, ihre süße Stimme. Ihr weicher Körper. Er beugte sich über sie und legte seine Lippen auf ihren süßen Rosenknospenmund. Und der Mund öffnete sich für ihn.
Silva sah durch die kaputten Dachbalken Sterne am dunkelsamtenen Himmel. Dann schloß sie die Augen.
Und Egon Meier war nicht mehr der tüchtige, aber ein wenig linkische und schüchterne Oberbuchhalter bei der ›Schraufa GmbH‹ in Aberlingen, der zu Herrn Pettenkamp nur piano sprach und von manchen Betriebsmitgliedern ›Pantoffelmeier‹ genannt wurde, der sich vor Fräulein Buttrich fürchtete, nie widersprach, immer den Kopf senkte und alles schluckte wie die Steuer, der ergeben dastand und sich nicht wunderte, wenn andere, Dümmere, im Dienst schneller vorankamen als er, weil sie die große Klappe an die Spitze ihres bescheidenen Könnens setzten.
Nein. Egon war ein Kerl, der sein Mädchen im Arm hielt. Fest und zärtlich. Er fand mühelos die richtigen Knöpfe an ihrer Bluse und auch sonst alles, was er im Dunkeln finden mußte.
Sie glühten füreinander und streichelten einander. Ihre Küsse dauerten länger und wurden tiefer und heftiger. Die Umarmung war Schöpfungsgeschichte und Beginn der Welt, Glück und Erfahrung von unzähligen Generationen, die tiefste Sinnerfüllung der Natur.
Es war unbeschreiblich herrlich. Es war ein Wunder. Es war Liebe.
Dieser einfache und in vielem kindlich erlebnisfähige Mann war für Silva die Rettung. Sie war schon so enttäuscht gewesen von den Männern. Er war der Kontrast zu den übertrieben selbstsicheren Herren ihrer Schicht, die Antwort auf den überstarken Papa, auf all die blasierten Machos und selbst auf Rino, der sie immer wie hübsches, aber entbehrliches Schmuckstück behandelt hatte.
Silva hatte immer soviel Geld gehabt, daß sie sich darüber keine Gedanken machen mußte. Papa hatte es ihr gegeben. Jetzt verdiente sie selber genug. Natürlich schenkten ihr die Eltern auch immer noch dies und das, eine Uhr, eine Kette, einen Sportwagen oder einen Weißfuchsmantel.
So spielte auch die Überlegung, wieviel wohl ein Oberbuchhalter in Aberlingen verdienen mochte, keine Rolle für sie.
In ihrem Kopf tauchten zum erstenmal Gedanken und Träume auf, die mit einem langen weißen Kleid aus Voile, Myrthen im Haar und einer drei Meter langen Schleppe zu tun hatten. Und mit Hochzeitsglocken.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Obrigada«, flüsterte sie Egon ins Ohr. »Obrigada, danke, Liebster, es war die schönste Nacht in meinem Leben.«
»Meine auch, Silva, mein Liebling.«
»Und es wird nicht die einzige bleiben – versprichst du mir das?«
»Natürlich, Silva, ich verspreche es hoch und heilig.«
Er ließ seine blauen Augen blitzen und lächelte selig wie noch nie. Oh, wie ihre Brombeeraugen strahlten. Sie war wirklich das schönste
Weitere Kostenlose Bücher