Der Geheimtip
Egons Sehnsuchtsrufe. Sie wußten ja aus der Zeitung, daß dieser Mauro ein Weiberheld war. Kein Wunder, daß er nach einer brüllte.
Pappali faßte Egon um die Schultern und überschüttete ihn mit einem Wortschwall. Da Egon nichts verstand, aber nicht unfreundlich sein wollte, nickte er mehrmals lächelnd. Da küßte Pappali ihn erst auf die rechte, dann auf die linke Wange. Dann küßten ihn die beiden großen Kerle ebenfalls, mal links und mal rechts. Danach geleiteten sie ihn durch einen Gang.
Pappali gab der Kapelle ein Zeichen. Es war soweit.
Tusch! Das Licht erlosch. Die Rampenlichter flammten auf. Ein Scheinwerfer sandte einen grellen Lichtkegel auf die Bühne. Die Flamencotruppe formierte sich im Hintergrund.
Schwermütig setzte die Musik ein. Die Gitarren klagten. Die Zimbeln wimmerten. Das Marimbaphon klang wie eine Glocke. Im hellen Licht stand der Blonde, starr, leicht schwankend, mit aufgerissenen Blauaugen.
Der Beifall war ungeheuer. Da war er. Leibhaftig! Der Mann, der ihre heimischen Tänze wieder in aller Welt berühmt gemacht hatte. Der täglich in den Klatschspalten auftauchte. Und er sah genauso aus! Ein bißchen zierlicher, vielleicht. Aber eben blond.
Egon Meier wurde äußerst vergnügt. Kein Zweifel, der Applaus galt ihm. Nicht daß er sich darüber gewundert hätte. Nachdem er eine Frau wie Silva erobert hatte, war alles andere sowieso ein Kinderspiel.
Also tänzelte er vor zur Rampe. Um das Gleichgewicht zu halten, breitete er die Arme aus, was einen weiteren Beifallssturm des bereits ziemlich angeschickerten Publikums entfachte. Egon merkte, daß es vorn steil runterging, also rannte er zurück zum roten Stoff im Hintergrund … Seitwärts hinter der Bühne stand Pappali mit glänzenden Augen und machte Tanzbewegungen. Das brachte Egon richtig in Schwung. Der Rhythmus der Musik steigerte sich, und er fuhr ihm in die Beine. Er stampfte los, nahm die Posen ein, die er schon oft im Kino gesehen hatte. Sein Gehirn war umnebelt. Urinstinkte drängten nach vorn. Er kreiselte und stampfte, und nun war auch die Tanztruppe dazu gekommen, umkreiste ihn. Mädchen warfen die Köpfe stolz in den Nacken, feurige Blicke trafen ihn. Männer mit klappernden Absätzen bildeten Figuren und lösten sie wieder auf.
Der Scheinwerfer wanderte mit Egon. Das war nun doch verwirrend. Das Licht blendete, so bedeckte er die Augen mit den Armen und drehte sich um sich selbst. Immer schneller, dann war es aus. Er stürzte der Länge nach auf die Bühnenbretter. Die Truppe erstarrte wie auf Kommando zur großen Pose. Nur die weibliche Vortänzerin beugte sich geistesgegenwärtig über ihn und ließ sich dann, halb über seinem Körper, zu Boden gleiten.
Pappali sprang auf die Bühne und schrie: »Das war Mauros Tanzschöpfung ›Liebesschmerz‹. Tradition und Moderne, meisterhaft vereint. Ja, das ist Kunst! Das kann nur ein Mauro!« Die Geigen winselten. Das Publikum, das zuerst platt gewesen war, brach in Jubel aus. Pappali traten die Tränen in die Augen. Vor Erleichterung. Und auch die Tanztruppe und die Mitglieder der Kapelle applaudierten begeistert. Sie hatten natürlich bemerkt, daß der Mensch erstens besoffen war und zweitens keine Ahnung hatte. Und so hatten sie das Schlimmste befürchtet. Nämlich eine Saalschlacht, bei der sie die Opfer gewesen wären, wenn sie einmal die Gestalten im Publikum genauer betrachteten.
Aber jetzt! O nein! Der Mensch rappelte sich wieder hoch. Die Leute setzten sich erwartungsvoll zurecht. Die Musiker sahen einander ratlos an, dann spielten sie entschlossen los.
In diesem Augenblick betrat Silva atemlos den Saal. Sie hatte den Kartenabreißern erklärt, daß sie eine Cousine von Herrn Pappali sei. Und nun wollte sie ihren Egon wiederhaben. Denn was der Wirt im Café ihr berichtet hatte, war die pure Katastrophe. Nicht nur das Geschäft war gefährdet, sondern ihr Liebster persönlich. Sie war wild entschlossen, ihm zu helfen.
Was sie sah, zog ihr jedoch trotzdem beinahe die Beine weg. Der Saal war rappelvoll, und auf der Bühne, im Scheinwerferkegel, umgeben von einer Flamencotruppe, zog ihr Egon eine Schau ab. Die Leute wurden schon unruhig. Jeden Augenblick konnte die Stimmung umschlagen. So rannte sie ganz impulsiv zur Bühne und rief: »Warte, ich komme rauf!«
Die verängstigten Folkloretänzer protestierten nicht. Einer hielt ihr die Hand hin und zog, bis das zierliche Persönchen ebenfalls auf der Bühne stand. Egon tänzelte sofort im Rhythmus auf sie zu.
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