Der Geist des Nasredin Effendi
revolutio nären Tagen ein, und es gelang Anora unschwer, diesen zu gewin nen, für längere Zeit in dem Haus zu sein. Die beiden alten Männer schwelgten in Erinnerungen, arbeiteten im Garten, machten Ausflü ge in die Umgebung und gingen ihrem gemeinsamen Hobby nach, sie angelten! Kurzum, der Vater hatte seine Zerstreuung. Ihre Reise und das Verschwinden Omars würde er nun weit weniger schmerz lich empfinden.
Herzklopfen bekam Anora erst wieder, als sie die bestätigten Aus reisedokumente von der Behörde abholen konnte. Das bedeutete: Nun handle!
Um Omar nicht zu erschrecken, hatte Anora begonnen, ihn an ihr Reich, ihr Laboratorium mit den Apparaten, Lampen und Knöpfen zu gewöhnen. Sie ließ sich ab und an einen Blumenstrauß von ihm bringen, nachdem sie ihm mühsam genug den dazu notwendigen Handlungsablauf gelehrt hatte.
Vorsorglich organisierte Anora, daß die beiden Männer, ihr Vater und der Freund, einen Wochenendausflug unternahmen, zu dem Zeitpunkt, den sie nun endgültig als Beginn ihres zweifelhaften A benteuers festgelegt hatte. Der Gedanke an ein Zurück kam ihr nicht, obwohl sie eine ungeheure Furcht verspürte. Angst erfüllte sie eben so vor einem Mißerfolg wie vor der Möglichkeit, daß ihr später die Fäden aus den Händen gleiten könnten.
Sie stand in ihrem Laboratorium voller Unruhe, mit Herzklopfen und feuchten Händen. Die Apparate hatten sich bereits warm gelau fen. Fahrig glättete Anora das Leintuch auf der Pritsche, an dem es längst nichts mehr zu glätten gab.
Anora wartete auf Omar. Sie fühlte sich hocherregt, nicht zuletzt deshalb, weil wieder alte Zweifel quälten. Aber ihr Wille, ihre Theorie bestätigt oder zusammenstürzen zu sehen, blieb ungebrochen.
Endlich vernahm sie die schweren Schritte des Mannes, der gleich darauf, ohne anzuklopfen, eintrat. Er trug einen nicht sehr attraktiv gefügten Strauß wunderschöner gelber Rosen und hielt diesen mit ausgestreckten Armen der jungen Frau entgegen. In Omars Gesicht stand ein einfältiges Lächeln, die Wangen waren gerötet, der Blick ging unstet. Aber ohne Zweifel, die Ähnlichkeit zum aufgefundenen Kopf war unverkennbar. Wieder empfand das Anora so, und sie fühl te sich erneut bestärkt in ihrem Vorhaben.
Eigentlich, abgesehen von dem auffallend stumpfen Gesichtsaus druck, war Omar ein stattlicher Mann mit einem muskulösen, Wohlgestalten Körper, hochgewachsen, breitschultrig, ein wenig massig, aber nicht korpulent. Und zum erstenmal kamen Anora Be denken in einer ganz anderen Richtung: Wie, um Himmels willen, werde ich mit diesem Neunzigkilomenschen fertig werden?
Omar war darauf vorbereitet, wenn er Blumen brachte, eine wohl schmeckende Erfrischung angeboten zu bekommen, die er stets mit Behagen verzehrte. Es fiel Anora daher nicht schwer, ihm das Schlafmittel beizubringen. Sie bugsierte Omar, eingedenk ihrer be messenen Kräfte, zur Liege, bedeutete ihm, darauf Platz zu nehmen, und gab ihm den Trank. Er nahm ihn, lachte breit und schlürfte das Getränk mit offensichtlichem Vergnügen. » Schmeckt’s, Omar?« fragte sie.
Kr strahlte über das ganze Gesicht, dabei sein wohlgeformtes, kräf tiges Gebiß über Gebühr entblößend.
Anora setzte sich neben Omar, legte ihm vertraueneinflößend eine Hand auf den Arm, kam sich einen winzigen Augenblick erbärmlich vor und nahm dann den vorbereiteten Bildband. Sie hatte entdeckt, daß Omar gern Fotografien betrachtete, sich an ihnen ergötzte und mit unverständlichen Lauten meist andere aufforderte, an seinem Vergnügen teilzuhaben. Er zeigte dabei auf die Bilder, daß man be fürchten mußte, sein kräftiger Finger werde das Papier ruinieren.
So auch jetzt. Geduldig blätterte Anora und ließ die Seite jedesmal so lange stehen, bis sein Entzücken sich gelegt hatte. Manches Bild sagte ihm offenbar nicht viel. Da reagierte er schwach oder nicht. Und flüchtig dachte Anora, daß dies wohl auch ein Ansatz hätte sein können, etwas weiter in seine merkwürdige Psyche zu dringen.
Anora unterdrückte standhaft ihre Ungeduld. Sie hatte schon er fahren, daß er auf leiseste Regungen reagieren konnte, dann, wenn er spürte, daß sich jemand oberflächlich oder gar unwirsch mit ihm befaßte.
Als Anora schon annahm, daß sie die Dosis des Schlafmittels zu klein gewählt haben könnte, zeigte Omar erste Anflüge von Müdig keit. Aber eine Viertelstunde dauerte es noch, bis er sich willig auf die Liege betten ließ. Anora atmete auf. Einen
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