Der Gejagte
Gefährte Abu Dun
sind weder mit dem Teufel noch anderen finsteren Mächten im Bunde. Ganz im Gegenteil.
»Unser Orden ist alt. Wir beobachten euch schon lange, Andrej«,
fuhr Starkey fort, während er sich wieder nach Osten wandte und in
die Richtung blickte, in der die Hügel in der Nacht untergetaucht
waren. »Und vor uns haben es andere getan. Unsere Aufzeichnungen
reichen lange zurück, länger, als du dir vielleicht vorstellen kannst.«
»Soll das heißen, Ihr wisst, was mich zu dem gemacht hat, was ich
bin?« Andrej verfluchte sich selbst für das Zittern, das deutlich in
seiner Stimme zu hören war, aber er war viel zu erregt, um sich noch
beherrschen zu können.
»Wer weiß schon alles?«, erwiderte Starkey ausweichend. »Über
dich und deinen Freund weiß ich, dass ihr lange vergeblich Nachforschungen angestellt habt. Ihr wollt wissen, wer ihr seid. Warum ihr
so seid. Was wäre dir die Antwort auf diese Frage wert, Andrej?«
Andrej starrte ihn an. Er hörte die Worte, aber es gelang ihm nur
mit Mühe, ihre volle Bedeutung zu begreifen. La Valette und Starkey
- ausgerechnet sie? - sollten das Geheimnis kennen, nach dessen
Lösung er schon so lange suchte?
»Nun?«, fragte Starkey, als er eine Weile vergebens auf eine Reaktion Andrejs gewartet hatte. »Ich kann dir nicht versprechen, dass ich
Antworten auf all deine Fragen habe, doch was wäre dir ein Blick in
unsere Aufzeichnungen wert?«
»Was… verlangt Ihr denn?«, antwortete Andrej mühsam und mit
belegter Stimme.
»Dass ihr den Krieg für uns gewinnt, die türkische Armee vernichtet, Mustafa Pascha schlagt, den Sultan tötet und seine Flotte auf den
Meeresgrund schickt«, antwortete Starkey. »Für den Anfang würde
das schon einmal reichen, über alles andere können wir später reden.«
»Und was wollt Ihr wirklich?«, fragte Andrej. Ihm war noch nie im
Leben so wenig nach Scherzen zu Mute gewesen wie in diesem Augenblick.
Starkey sah ihn abwägend an. Das rote Licht der Fackeln, das über
sein runzliges Gesicht huschte, schien ihm mit einem Mal seine
Menschlichkeit zu nehmen.
Der Engländer hatte gerade von einem Pakt mit dem Teufel gesprochen, aber Andrej war nicht mehr sicher, wen er damit eigentlich
gemeint hatte.
»Tötet den Dämon«, sagte Starkey, »und bringt uns Mustafa Paschas Kopf.«
»Ich bin kein Meuchelmörder«, antwortete Andrej empört, aber
seine Entrüstung prallte von Starkey ab.
»Überleg es dir«, sagte er. »Von allen Feinden, gegen die ich je gekämpft habe, ist Mustafa Pascha der grausamste. Selbst seine eigenen
Leute fürchten ihn wie den Teufel. Ihr habt gesehen, wozu er fähig
ist. Einen solchen Mann zu töten wäre kein Mord, sondern nur die
gerechte Strafe, die ihm für all die Gräueltaten zusteht, die er in seinem Leben begangen hat.«
»Und was würde das ändern?«, fragte Andrej. »Ein einzelner Mann,
bei so vielen?«
»Möglicherweise alles«, behauptete Starkey. »Mustafa Paschas
Kopf, aufgespießt auf einer Lanze, auf dem höchsten Turm unserer
Festung…« Er runzelte die Stirn und schwieg, als müsse er angestrengt über diese Vorstellung nachdenken. »Vielleicht würde das
alles ändern, Andrej. Ich bin nicht sicher - aber es könnte das Ende
des Krieges bedeuten.«
Andrej vermutete, dass er Recht haben könnte. Dennoch setzte er
zu einem Widerspruch an, doch er kam nicht dazu. Ein fremder Laut
drang in seine Gedanken und ließ ihn ebenso wie Starkey zu den Hügeln blicken. Es war das dumpfe Dröhnen von Kesselpauken, untermalt vom leiseren, hellen Klang der Zimbeln. Es hörte sich wie die
Marschmusik, die das türkische Heer vor seinem Angriff gespielt
hatte, an, doch sie wurde weder lauter noch schneller. Dafür erschien
ein roter Schein über der Hügelkuppe. Nur einen Moment später
marschierten gut zwei Dutzend Fackelträger dort drüben auf.
Andrej unterdrückte ein Stöhnen, als er sah, was die Türken in den
letzten Minuten im Schutze der Dunkelheit auf den Hügeln genau
gegenüber der Bastion der Kastilier errichtet hatten - und damit genau gegenüber der Stelle, an der die Christen an diesem Morgen ihren vermeintlichen Sieg errungen hatten.
»Was geht da vor?«, murmelte Starkey misstrauisch. Er hatte kein
Fernglas mitgebracht und offensichtlich waren seine Augen zu alt
und nicht mehr scharf genug, um zu erkennen, welche Art von Schauspiel der türkische Kommandeur für ihn vorbereitet hatte. Dafür sah Andrej es umso deutlicher. »Glaubst du, sie werden bei Nacht
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