Der Gejagte
später sprengte Sir Oliver heran. Der
alte Mann hatte sich erstaunlich gut gehalten und war kaum um zwei
oder drei Pferdelängen zurückgefallen, und das, obwohl er zu allem
Überfluss auch noch Pedro mit in den Sattel des Pferdes gehoben
hatte, das ihm die eingeschüchterten Wachen gebracht hatten. Obwohl ihn der Ritt ungleich mehr angestrengt haben musste als Andrej, fiel es ihm nicht schwer, zu ihm aufzuschließen und die Hütte
fast im selben Moment zu erreichen. Auch Pedro stürmte hinter ihm
her, doch Andrej entging nicht, dass er immer langsamer wurde und
schließlich stehen blieb, als hätte er Angst vor dem, was er sehen
würde, wenn er das Haus betrat.
Andrej zumindest hatte in der Tat Angst davor. Genau wie der Junge wurde er immer langsamer, je näher er dem Haus kam, und überließ es am Ende Sir Oliver, die beiden Soldaten, die mit bleichen
Gesichtern vor der Tür standen und offensichtlich nicht recht wussten, was sie tun sollten, mit einer unwilligen Geste beiseite zu scheuchen und die Tür aufzustoßen. Ein süßlicher, Andrej nur allzu bekannter Geruch und ein leises Wimmern schlugen ihnen aus dem
dunklen Inneren des Hauses entgegen. Andrejs Herz begann zu klopfen, als er gebückt durch die Tür trat.
Der kleine Raum, in dem er noch vor wenigen Tagen mit Abu Dun,
Julia und ihrem Sohn zusammengesessen und sich so heimisch gefühlt hatte, war vollkommen verwüstet. Möbel und Geschirr waren
zerschlagen, das Gewehr, das Pedro ihm voller kindlichem Stolz gezeigt hatte, in Stücke gebrochen, Kleider lagen zerfetzt auf dem Boden. Das Schluchzen war nun lauter zu hören und drang hinter der
nur angelehnten Tür zum einzigen anderen Raum des Hauses hervor.
Andrej roch Blut, aber er roch noch etwas anderes, das ihm überdeutlich sagte, was dort geschehen war. Eine Woge blanker Wut stieg in
ihm empor. Es gelang ihm, das Gefühl zurückzudrängen, aber es
kostete ihn enorme Überwindung.
Starkey betrat auch das nächste Zimmer als Erster und blieb so abrupt stehen, dass Andrej beinahe gegen ihn geprallt wäre. Leise hörte
er Pedros Schritte hinter sich, die stockend näher kamen und dann
auf halbem Wege anhielten. Sein Herz schlug noch ein wenig härter,
als er dem Engländer folgte und einen Schritt zur Seite machte, um
an ihm vorbeisehen zu können.
Auch dieses Zimmer war verwüstet. Seine Einrichtung bestand lediglich aus einem großen Bett und einem ebenso wuchtigen Kleiderschrank, den jemand mit großer Akribie zertrümmert und seinen Inhalt in Fetzen gerissen hatte. Andrej konnte nur einen kurzen Blick
auf Julia erhaschen, bevor Starkey weiterging, doch das war schon
fast mehr, als er verkraften konnte.
Das Bett war ebenfalls ein Opfer blanker Zerstörungswut geworden. Zwei Beine waren abgebrochen, sodass es schräg wie ein gestrandetes Schiff auf einer Sandbank dastand und nur durch ein
schieres Wunder noch nicht endgültig auseinander gebrochen war.
Das Bettzeug war zerfetzt und mit Blut besudelt. Jemand hatte mit -
wie ihm der Geruch verriet, Julias eigenem - Blut das Wort Türkenhure an die Wand geschrieben.
Andrej und Sir Oliver waren nicht die einzigen Besucher. Zwei alte,
ganz in Schwarz gekleidete Frauen knieten neben dem Bett und redeten mit leiser, beruhigender Stimme auf Julia ein, die sich unter den
Fetzen ihrer blutigen Decke zu einem Ball zusammengekrümmt hatte
und leise schluchzte. Andrej kannte sie, es waren Frauen aus der
Nachbarschaft. Eine der beiden hob den Kopf und sah in ihre Richtung. Ihr Blick blieb gleichgültig, als er über Andrejs Gesicht wanderte - offensichtlich erkannte sie ihn in seiner veränderten Kleidung
und mit anderer Haartracht und ohne Bart nicht - und schlug in blanken Hass um, als sie Sir Oliver ansah. Dem Engländer konnte ihre
Reaktion nicht entgangen sein, doch er beherrschte sich wie immer
meisterhaft und ging mit raschen, aber lautlosen Schritten um das
Bett herum. Andrej trat näher, blieb aber wieder stehen, als er Julia
zum ersten Mal von nahem sah. Sein Herz zog sich zu einem kalten
Ball aus Eis zusammen.
Sie hatten es nicht dabei bewenden lassen, Julias Haus zu verwüsten und ihr Gewalt anzutun. Die Frau war halb totgeschlagen worden. Ihr Gesicht war so verquollen, dass sie kaum noch in der Lage
war, die Augen zu öffnen. Soweit Andrej erkennen konnte, hatte sie
zwei oder drei Zähne verloren.
Die Knöchel ihrer rechten Hand, die unter der zerrissenen Decke
hervorragte, waren aufgeplatzt, Andrej war sicher, dass
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