Der Gejagte
flachen Hand ins Gesicht und der
mentale Angriff brach so abrupt wieder ab, wie er begonnen hatte.
Dennoch war Andrej zutiefst verstört. Noch vor wenigen Stunden
war Romegas ein ganz normaler Mensch gewesen, dem das Wort Vampyr nicht über die Lippen gekommen wäre, ohne dass er sich
mindestens fünfmal bekreuzigt hätte. Und nun attackierte er ihn auf
die gleiche Art, auf die auch der Dämon seine Opfer angriff.
»Sieh dir seine Hand an«, sagte Abu Dun.
Andrej gehorchte und konnte einen überraschten Laut nicht unterdrücken. So wenig wie Starkey, der neben ihn getreten war und Abu
Duns Worte ebenfalls gehört hatte.
Romegas’ Hand war mittlerweile unförmig angeschwollen. Die
Wunde, die Abu Duns Dolch ihm zugefügt hatte, war so schrecklich,
dass man den blanken Knochen unter dem zerfetzten Fleisch sehen
konnte. Und dennoch hatte sie bereits aufgehört zu bluten. Hätte es
noch eines Beweises für Andrejs Verdacht bedurft - hier hatten sie
ihn.
La Valette bekreuzigte sich. Aus seinem Gesicht war auch das letzte bisschen Farbe gewichen. Obwohl Andrej Romegas nach wie vor
mit eisernem Griff hielt, wich er zurück. In seinen Augen stand
nichts als pures Entsetzen geschrieben. »Gütiger Gott, was bedeutet
das?«, fragte er stockend.
Andrej ersparte sich eine Antwort. Er gab Abu Dun einen Wink,
Romegas festzuhalten, dann machte er sich daran, dessen Körper
gründlich zu untersuchen.
Es verging nur ein Augenblick, bevor er fündig wurde. Abgesehen
von seiner durchbohrten Hand wies Romegas Dutzende von Prellungen und Hautabschürfungen auf, wo ihn die Soldaten niedergerungen
und offensichtlich auch geschlagen und getreten hatten, doch das war
es nicht, wonach er Ausschau hielt. Was er gesucht und gefunden
hatte, waren zwei winzige rote Punkte an der linken Seite seines Halses, genau über der Halsschlagader.
»Wollt Ihr uns nicht erzählen, was passiert ist, Romegas?«, fragte
er.
Romegas starrte ihn nur trotzig an. »Weil Ihr mich dann laufen
lasst, nehme ich an?«, fragte er höhnisch.
»Nein«, antwortete Andrej ruhig, »aber vielleicht, weil wir dann
noch etwas für Euer Seelenheil tun können. Ihr werdet so oder so
sterben, aber es liegt bei Euch, ob es schnell geht oder lange dauert.
Und es liegt bei Euch, was anschließend mit Eurer Seele passiert.«
Romegas lachte hässlich. »Diese Worte ausgerechnet aus deinem
Mund?«
Andrej blieb ernst. »Glaubt mir«, sagte er. »Gerade ich weiß, dass
es so etwas wie eine unsterbliche Seele gibt. Und die Ewigkeit kann
lang sein, wenn man sie in der Hölle verbringt.«
»Jedenfalls wird es mir dort nicht langweilig«, stieß Romegas hervor. »Denn zweifellos werden wir uns wieder sehen.«
Andrej resignierte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Erzfeind ihm tatsächlich Rede und Antwort stehen würde. Er war auch
nicht sicher, ob es überhaupt in seiner Macht lag, noch etwas für ihn
zu tun. Er wusste ja nicht einmal genau, was Romegas zugestoßen
war. Vielleicht war er es sich aber selbst schuldig gewesen, es zumindest zu versuchen.
»Gibt es einen Ort hier, an dem Ihr ihn sicher unterbringen könnt?«,
wandte er sich an La Valette.
Der Johanniter bekreuzigte sich, bevor er antwortete. »Das wird
nicht nötig sein«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, dass er auf der
Stelle hingerichtet und sein Körper auf dem Scheiterhaufen verbrannt
wird.«
»Nein«, sagte Andrej.
»Nein?« La Valette sah ihn verblüfft, aber auch ein bisschen misstrauisch an. »Was soll das heißen? Ihr wollt, dass er lebt?«
»Wir müssen herausfinden, was passiert ist«, antwortete Andrej
eindringlich. »Wenn der Dämon wirklich in der Lage ist, aus einem
normalen Menschen ein Wesen seiner Art zu machen - und noch
dazu eines, das ganz offensichtlich unter seinem Einfluss steht -,
dann ist er noch sehr viel gefährlicher, als wir geglaubt haben. Ihr
müsst ihn zum Reden bringen.«
»Das dürfte kein Problem sein«, sagte Starkey ruhig.
Andrej unterdrückte ein Schaudern. Er hatte gewiss kein Mitleid
mit Romegas - weder mit dem, der er einmal gewesen war, noch mit
dem, der er jetzt war -, doch er hatte den Johanniter soeben mehr
oder weniger offen aufgefordert, einen Menschen zu foltern, und das
gefiel ihm gar nicht. Aber sie hatten keine andere Wahl.
Noch einmal betrachtete er die beiden winzigen Einstiche über
Romegas’ Halsschlagader. Sie lagen nur wenige Fingerbreit auseinander und erinnerten an zwei Mückenstiche oder die Bissspuren einer
kleinen
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