Der Gejagte
bereiten, als den Jungen wieder zu sehen. Erst jetzt war
Andrej wirklich klar geworden, dass Pedro für Abu Dun die Rolle
des Sohnes eingenommen hatte, den er niemals gehabt hatte und
niemals haben konnte. Dennoch war er nicht sicher, ob er dem Nubier damit einen Gefallen tun würde. Ihn Pedro ein letztes Mal wieder sehen zu lassen, bedeutete nichts anderes, als das Messer noch
einmal in der Wunde herumzudrehen.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, fragte Pedro plötzlich leise:
»Ihr werdet gehen, nicht wahr?«
Andrej nickte. Antworten konnte er nicht, denn mit einem Male war
ein bitterer, harter Kloß in seinem Hals, der ihn zu ersticken drohte.
»Ich werde… nichts sagen«, versprach Pedro. »Meiner Mutter
nicht, und… und auch Abu Dun nicht. Ich will mich… nur von ihm
verabschieden.«
Das war er dem Jungen schuldig, dachte Andrej, und der Kloß in
seiner Kehle wurde noch größer. Er konnte nur nicken und Pedro
ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei und verließ das Haus.
»Ein tapferer kleiner Bursche, nicht wahr?«, sagte Starkeys Stimme
hinter ihm.
Immerhin tapfer genug, um von einem Mann wie dir als Geisel benutzt zu werden, dachte Andrej, während er sich umdrehte und den
Engländer mit einem kühlen Blick maß. »Ja«, sagte er laut. »Und
dabei ist er doch im Grunde nichts weiter als ein Kind, dem man seine Jugend gestohlen hat.«
Falls Starkey begriff, was er ihm damit sagen wollte, so ignorierte
er es meisterhaft. »Vielleicht kann ich etwas für ihn und seine Mutter
tun«, sagte er nur, »und auch für deinen Freund.«
Andrej legte fragend den Kopf zur Seite, schwieg aber.
Wenn er eines gelernt hatte, dann, dass Geschenke, die der Engländer ihm offerierte, mit Vorsicht zu genießen waren.
Starkey wandte sich um und schloss sorgsam die Tür hinter sich,
bevor er weitersprach. »Diese junge Frau ist wirklich sehr hartnäckig«, sagte er, »und so stolz, wie man es von einer Malteserin nur
erwarten kann. Ich kann verstehen, dass dein Freund sein Herz an sie
verloren hat. Dennoch waren unsere Bemühungen am Ende erfolgreich.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Andrej. Zumindest weigerte er sich zu
verstehen, was Starkey meinte.
»Die strenge Befragung, der ich Chevalier de Romegas habe unterziehen lassen…«, begann Starkey, wurde aber sofort von Andrej unterbrochen: »Die Folter, meint Ihr?«
»… hat leider nicht sehr viel zu Tage gefördert«, fuhr Starkey ungerührt fort. »Doch immerhin haben wir eines in Erfahrung gebracht.
Was dieser armen Frau angetan wurde, war nicht Romegas’ eigener
Entschluss. Vielmehr hat ihm der Dämon befohlen, es zu tun. Es fiel
mir bisher schwer, das zu glauben, doch nun, da ich den Jungen gesehen habe, und vor allem den Ausdruck in deinen Augen, Andrej…« Er zuckte mit den Achseln. »Man könnte meinen, der Attentäter hätte es gezielt darauf angelegt, deinem Freund und dir Schmerz
zuzufügen.«
»Was ihm gelungen ist«, antwortete Andrej.
»Und vielleicht ist das unsere Chance, ihn zu stellen«, sagte Starkey.
»Ihr wollt Julia als Köder benutzen?«, fragte Andrej fassungslos.
»Ich hätte es vorgezogen, ein anderes Wort zu benutzen«, erwiderte
Starkey in verletztem Ton. »Aber ja, wenn du so willst. Sie ist damit
einverstanden«, fügte er hastig hinzu, als er sah, wie sich Andrejs
Gesicht verdüsterte.
»Das mag sein«, antwortete Andrej. »Und ich stelle es Euch frei,
Abu Dun diesen Vorschlag zu machen, Sir Oliver. Ich hätte nicht den
Mut dazu.«
Starkey deutete mit ungerührtem Gesicht auf die Tür hinter sich.
»Unser Großmeister hat ihr den Ernst der Lage klargemacht«, sagte
er. »Wenn der Attentäter Erfolg hat und uns beide und vielleicht
auch euch tötet, so wird diese Stadt in wenigen Tagen fallen. Ihr
kennt den Ruf, den Mustafa Pascha genießt, Andrej. Er wird innerhalb dieser Mauern keinen Stein auf dem anderen lassen. Niemand
wird vor ihm sicher sein, weder Männer noch Frauen oder Kinder.
Auch Julia wird sterben oder verschleppt werden, ebenso wie ihr
Sohn.«
»Und Ihr glaubt, der Tod des Dämons würde daran etwas ändern?«,
fragte Andrej bitter.
»Nein«, antwortete Starkey mit unerwarteter Offenheit. »Doch wir
würden Zeit gewinnen. Ich habe ihr das Angebot gemacht, sie und
ihren Sohn von hier wegzubringen, wenn sie uns hilft, den Attentäter
unschädlich zu machen. Sie ist einverstanden.«
»Abu Dun wird das niemals zulassen«, antwortete Andrej.
»Und genau deshalb brauchen wir deine Hilfe«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher