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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gemieden.
Dass der Nubier überhaupt so dicht vor den Toren des letzten Bollwerkes der Christenheit geduldet wurde, grenzte an ein Wunder und
war zu einem Gutteil Andrejs Fürsprache und Protektion zu verdanken, in erster Linie aber der schützenden Hand, die la Valette unsichtbar über ihn hielt und deren Schatten sich somit auch auf den
Nubier erstreckte.
    Wenigstens hatte er sich bisher immer eingeredet, dass Rücksichtnahme der Grund dafür war, Abu Duns Heim zu meiden. Doch während er dasaß und mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen das
Familienidyll um sich herum betrachtete - etwas, wofür er in früheren Zeiten höchstens Verachtung übrig gehabt hätte -, gestand er sich
ein, dass es noch einen anderen Grund gegeben hatte. Vielleicht war
es der wahre Grund.
So befremdlich ihm der Anblick des riesigen, schwarzhäutigen Nubiers an der Seite der zerbrechlich und verwundbar aussehenden Frau
auch vorkommen mochte, Andrej begriff, dass Abu Dun dort etwas
gefunden hatte, was ihm selbst vielleicht für immer verwehrt bleiben
würde. Eine Familie.
    Das Haus war weder groß noch besonders komfortabel. Julia war
eine hübsche Frau, aber davon gab es viele. Pedro war ein netter
Junge, aber nicht besonders helle im Kopf. Er neigte, wie fast alle
Knaben seines Alters, zur Aufsässigkeit. Vielleicht war es gerade
das, die Ruhe und der Frieden, die dieser Normalität innewohnten, -
was Abu Dun, ohne es zu wissen, immer gesucht hatte.
    Jedenfalls war Andrej froh, gekommen zu sein.
Julias Haus, das aus dem weichen, goldfarbenen Stein Maltas gebaut war, unterschied sich so sehr von den kalten, abweisenden Gewölben der Johanniter-Burg, wie man es sich nur vorstellen konnte.
Das kleine Haus war, wie fast alle Wohnhäuser der Insel, unverputzt
und hatte nur ein einziges Stockwerk. Es lag in einer engen Gasse, in
der überall geflickte Netze und Wäscheleinen hingen und in der gesalzener Fisch in der Sonne zum Trocknen ausgelegt war. Kinder
spielten, während ihre Mütter auf sie Acht gaben und derweil den
neuesten Klatsch und Tratsch austauschten. Es war eine Straße voller
Lebenslust und Heiterkeit, trotz des Unrates, der überall das steil
ansteigende Kopfsteinpflaster bedeckte, und des Geruchs nach altem
Fisch, der ständig in der Luft lag.
Das Haus hatte nur zwei Kammern. Die gute Stube, in der auch die
Gäste empfangen wurden, und eine weitere Kammer, die - zumindest
den Abmessungen des Gebäudes nach zu schließen - kaum groß genug sein konnte, um ausreichend Platz für die Schlafstätten seiner
drei Bewohner bieten zu können. Trotz dieser Bescheidenheit wirkte
das Haus keineswegs ärmlich. Es war vielleicht kleiner als der unbedeutendste Raum der gewaltigen Burg, aber es war etwas, was dieses
Bollwerk niemals sein konnte: ein Heim.
An einer Wand hing eine große Muskete mit Stützgabel, die Waffe
Franciscos, Julias verstorbenen Mannes. Dazu gehörten ein Ladestock und ein kleines Ledersäckchen mit Pulver. Andrej hatte kein
Wort darüber verloren, die Waffe aber eine geraume Weile nachdenklich angestarrt. Abu Dun hatte mit ebensolchem Schweigen,
aber einem kaum verhohlenen Grinsen, reagiert. Das Vorhandensein
einer solchen Waffe im Hause eines Fischers hatte Andrej überrascht. Die Frage, ob Francisco seine Fische eigentlich mit dem Netz
gefangen oder geschossen hatte, hatte ihm auf der Zunge gelegen,
aber er hatte sie sich verkniffen, als er Abu Duns Blick begegnete. Er
nahm an, dass die Muskete das letzte Erinnerungsstück war, das Julia
von ihrem Mann hatte, den das Schicksal so vieler Fischer ereilt hatte: Er war eines Morgens mit seinem Boot hinaus aufs Meer gefahren
und nie zurückgekommen.
Andrej sprach kurz ihre Reise nach Konstantinopel an, doch Abu
Dun reagierte sonderbar einsilbig und ausweichend.
Das unterschied ihn von den meisten Männern, die Andrej kannte.
Seine Sorge, seine Familie unnötig in Angst und Schrecken zu versetzen, war größer als sein zweifellos vorhandenes Bedürfnis, mit
seinen Abenteuern zu prahlen.
Eine andere Wand wurde von einem schlichten Holzregal beherrscht, auf dem einige angeschlagene Teller und Schüsseln und zu
Andrejs nicht geringer Überraschung eine Anzahl Bücher standen. Er
verlor auch darüber kein Wort, nahm sich aber vor, sich bei passender Gelegenheit noch einmal ausgiebig mit Abu Dun zu unterhalten.
Vielleicht war es doch kein Zufall gewesen, dass der Nubier sich
ausgerechnet Julia und ihren Sohn zu seiner neuen Familie

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