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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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fuhr
nach einem kurzen, fragenden Blick in Julias Richtung fort: »Willst
du lernen, damit zu schießen?«
Die Augen des Jungen leuchteten auf. »Natürlich!«
»Dann sei morgen früh bei Sonnenaufgang auf dem Hügelkamm,
südöstlich von hier«, sagte Andrej. »Der Großmeister hat mich gebeten, die Freiwilligen aus dem Dorf ein wenig im Musketenschießen
zu drillen. Wenn du willst und wenn deine Mutter es erlaubt, kannst
du dabei sein.«
»Darf ich?«, wandte sich Pedro aufgeregt an seine Mutter. »Bitte!«
Julias Blick verdüsterte sich. Jegliche Sympathie, die Andrej noch
bei seiner Ankunft darin gelesen hatte, war nun daraus verschwunden
und hatte einer Bitterkeit Platz gemacht, die er sich nicht erklären
konnte, die ihm aber unzweifelhaft bewies, dass er schon wieder einen Fehler begangen hatte. Schließlich nickte sie, doch die Bewegung war abgehackt und widerwillig und machte deutlich, was sie
tatsächlich von seinem Vorschlag hielt.
»Dann sehen wir uns morgen früh«, sagte er. Rasch trat er endgültig vom Tisch zurück und verließ das Haus. Abu Dun folgte ihm.
Andrej legte die ersten Schritte in scharfem Tempo zurück, bevor er
langsamer wurde, um dem Nubier Gelegenheit zu geben, zu ihm aufzuschließen, ohne zu rennen.
Noch war es hell, aber in den schmalen Straßen des kleinen Fischerdorfes waren die ersten Vorboten der Nacht bereits eingetroffen. Die Farben begannen zu verblassen und es war spürbar kälter
geworden, sodass Andrej seinen Mantel enger um die Schultern zog.
»Wenn du es darauf angelegt hast, es dir mit Julia zu verderben,
Hexenmeister«, sagte Abu Dun, nachdem er einige Schritte weit
schweigend neben ihm hergegangen war und vergebens darauf gewartet hatte, dass Andrej von sich aus das Wort ergriff, »dann ist es
dir gelungen.«
»Das wollte ich nicht«, antwortete Andrej. »Ich wollte dem Jungen
nur eine Freude machen. Was ist so schlimm daran? Schließlich hat
das Gewehr seinem Vater gehört.«
»Und Julia hat es seit dem Tag gehasst, an dem er es ins Haus
brachte«, erwiderte Abu Dun. »Sie hat es als Andenken behalten,
nicht, damit ihr Sohn das Schießen lernt.« Er ging einige Schritte
schweigend neben Andrej her und fuhr dann mit leicht veränderter
Stimme fort: »Glaubst du, dass das wirklich nötig ist?«
»Dass Kinder lernen, mit Waffen umzugehen?« Andrej schüttelte
heftig den Kopf. »Gewiss nicht.«
Er blieb stehen. Während er sich zu dem Nubier umdrehte, ließ er
seinen Blick verstohlen über die Fassaden der Häuser zu beiden Seiten der schmalen Straße schweifen. Nirgends war ein Mensch zu
sehen. Trotz der hereinbrechenden Dämmerung brannte hinter keinem Fenster ein Licht. Das einzige Geräusch, das er hörte, war der
Wind. Die Straße schien wie ausgestorben. Andrejs scharfe Sinne
verrieten ihm, dass das in gewisser Weise sogar stimmte. Die meisten Häuser in ihrer unmittelbaren Nähe waren leer, ihre Bewohner
entweder noch unten bei ihren Schiffen oder bei der Arbeit auf den
Feldern. »Du hast es ihnen noch nicht gesagt, habe ich Recht?«, fragte er.
Einen Moment lang gab Abu Dun vor, nicht zu wissen, was Andrej
meinte. »Was?«
»Was geschehen wird«, antwortete Andrej. »Was du mir selbst gesagt hast, vor zwei Wochen, in Konstantinopel. Dass wir fortmüssen.«
Abu Dun schwieg. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich.
»Ich habe dich nie gefragt, warum du dich mit dieser Frau eingelassen hast, Abu Dun«, sagte Andrej, als ihm klar wurde, dass der Nubier nichts sagen würde. »Aber ich glaube, ich kenne den Grund
jetzt.«
»So?«, fragte Abu Dun kühl.
Andrej nickte. Er streckte die Hand aus, wie um seinen Freund am
Arm zu ergreifen, führte die Bewegung aber nicht zu Ende, sondern
schüttelte nur traurig den Kopf. »Du bist es ihnen schuldig, Abu
Dun«, sagte er. »Wenn schon nicht Julia, dann dem Jungen. Du
musst sie warnen. Du musst ihnen sagen, dass wir gehen werden.«
»Werden wir das denn?«, fragte Abu Dun.
»Du willst hier bleiben?«, vergewisserte sich Andrej. »Du weißt,
was passieren wird. Vielleicht schon in ein paar Tagen.«
»Ich kann sie nicht zurücklassen«, sagte Abu Dun. »Und Julia wird
nicht fortgehen. Das hier ist ihre Heimat. Sie ist hier geboren und es
gibt keinen Ort, wohin sie gehen könnte.«
»Dann nimm sie mit«, sagte Andrej. »Noch ist es nicht zu spät. Du
kannst…« Er stockte und setzte dann neu an: »Wir können Malta
noch heute verlassen. Noch in dieser Nacht.«
»Wie stellst du dir das vor?«,

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