Der Gejagte
einmal
Recht. Du verstehst nichts davon.« Er drehte sich langsam zu Romegas um. »Bitte verzeiht meinem Freund«, fuhr er fort, wobei er sich
keinerlei Mühe gab, den beißenden Spott in seiner Stimme zu verhehlen, und das Wort Freund betonte. »Er ist und bleibt ein ungebildeter Wilder, wie Ihr sicherlich wisst.«
Romegas’ Lippen wurden schmal. Seine Hand schloss sich fester
um den Griff des schweren Säbels, den er im Gürtel trug, und Andrej
konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel, die Waffe nicht zu ziehen. Er spürte aber auch, dass er es nicht tun würde. Trotz aller Verschlagenheit war Romegas im Grunde leicht zu durchschauen.
»Gut«, sagte Romegas. »Das ist vielleicht nicht der geeignete Augenblick, um diese Sache zu klären.« Sein Blick löste sich von Andrejs Gesicht, strich kurz und verächtlich über das des Nubiers und
suchte dann Julias Blick. »Und es geziemt sich auch nicht, solche
Dinge in Gegenwart einer Dame zu besprechen. Auch wenn ich meine Verwunderung darüber, dass sich eine Christin und Mutter mit
einem solchen Mann einlässt, nicht verhehlen kann.«
Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie Abu Duns Miene gefror.
Auch Julia fuhr leicht zusammen und sog hörbar die Luft zwischen
den Zähnen ein. Was um alles in der Welt hat dieser Narr Romegas
eigentlich vor?, dachte er.
»Ich habe mich nicht mit ihm eingelassen«, antwortete Julia kühl.
»Abu Dun ist ein Freund. Und was seine barbarische Herkunft angeht, edler Ritter…« Wie sie die beiden Worte aussprach, kamen sie
einer Ohrfeige gleich. »… so habe ich von ihm mehr Güte, Warmherzigkeit und Freundschaft erfahren, als von so manch zivilisiertem
Christenmenschen.«
Romegas presste die Kiefer aufeinander. Seine Hand schloss sich
fester um das Schwert und für einen Herzschlag lang war Andrej
vollkommen sicher, dass er die Waffe nun ziehen und den Tag so
beenden würde, wie er es geplant hatte, egal was La Valette oder
einer der anderen Ritter dazu sagen mochten. Aber der gefährliche
Moment ging vorüber. Schließlich entspannte sich Romegas, zog mit
einer demonstrativen Bewegung die Hand vom Schwertgriff zurück
und beließ es bei einem verächtlichen Lachen, mit dem er sich umdrehte und erhobenen Hauptes davonmarschierte.
»Ein reizender Mensch«, sagte Abu Dun. »Ist er immer so nett zu
dir?«
»Nur wenn er guter Stimmung ist«, antwortete Andrej. Er atmete
vorsichtig auf. Er hätte nicht die scharfen Sinne eines Vampyrs gebraucht, um zu spüren, wie die Spannung, die fast greifbar in der
Luft gelegen hatte, langsam wich.
Romegas war nicht allein gegangen. Vier oder fünf Mann aus den
Reihen der Soldaten folgten ihm - wie sie vielleicht selbst glaubten -
unauffällig. Auch die anderen entspannten sich sichtbar und wandten
sich wieder ihrer eigentlichen Tätigkeit zu, nämlich der, mit Argusaugen über die Sklaven zu wachen, die längst nicht mehr die Kraft
hatten, gegen sie aufzubegehren.
Trotzdem blieb Andrej auf der Hut. Wenn Abu Dun und er als Unsterbliche einen Meuchelmörder oder einen vermeintlichen Unfall
auch nicht so fürchten mussten wie gewöhnliche Menschen, war ihm
doch bewusst, dass er an diesem Tag die allgemeine Aufmerksamkeit
schon zu sehr auf sich gezogen hatte.
»Warum bist du gekommen?«, wandte er sich in barschem Ton an
den Nubier.
Abu Dun sah ihn nicht an, sondern blickte weiter mit nachdenklichem Ausdruck in die Richtung, in der Romegas und seine Begleiter
davongegangen waren.
»Dein ritterlicher Freund ist unter den guten Leuten hier nicht besonders beliebt«, sagte er nachdenklich. »Was eigentlich verwunderlich ist. Ich meine… er gehört zu den wenigen deiner Brüder, die
man da und dort schon einmal im Dorf sieht. Mir als gläubigem Moslem ist es natürlich verboten, einen solchen Ort aufzusuchen, aber
man erzählt sich, dass er öfter unten im Gasthaus gesehen wird.«
»Und?«, fragte Andrej.
Abu Dun hob die Schultern. »Es ist ein langer und gefährlicher
Weg durch die dunklen Straßen der Stadt bis zurück zur Burg«, sagte
er versonnen. »Selbst für einen Ritter.«
Gegen seinen Willen ertappte sich Andrej dabei, ernsthaft über Abu
Duns kaum verhohlenen Vorschlag nachzudenken. Aber trotz allem
wünschte er nicht Romegas’ Tod. Wäre es so gewesen, wäre der Edelmann schon längst nicht mehr am leben. Nur die wenigsten, die
sich seinen aufrichtigen Zorn zugezogen hatten, hatten noch Gelegenheit gehabt, diesen Fehler zu bedauern. Dennoch erfreute er sich
einen
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