Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
Vom Netzwerk:
Whitecap.
    Muturi fing die Diskussion an. Er begann zu reden, als nähme er nur den Faden da wieder auf, wo wir ihn draußen vor der Höhle verlassen hatten. Er sagte: ›So, wie es Mwaura von sich gestern abend im Matatu berichtet hat, so habe auch ich vieles hier im Lande gesehen und erlebt. Ich habe schon mancherlei Arbeit getan; ich bin weit in Kenia herumgekommen und Zeuge vieler Ereignisse in unserem Land geworden. Einmal, als ich als Nachtwächter in einer Schule in Nakuru arbeitete, rettete ich ein Mädchen, das sich das Leben nehmen wollte. Es war dunkel, und ich saß in der Nähe des Schwimmbeckens; ich sah, wie sie verstohlen an einer niedrigen Hecke entlangging, und als ich sie fragte, was sie hier in der Nacht allein zu suchen habe, log sie mich an und erzählte mir, sie sei auf Besuch bei ihrem Bruder, der Lehrer an der Schule sei. Dann lief sie weg. Aber am nächsten Tag begegnete ich doch, sage und schreibe, demselben Mädchen wieder, und zwar stand sie diesmal mitten auf den Eisenbahngleisen und wartete darauf, daß der Zug sie überfahren würde! Auf meinem Weg nach Bondeni, wo ich einen Besuch machen wollte, war ich an ihr vorübergegangen, als ich die Schienen überquerte. Aber wider Gottes Richtspruch kann keiner. Als ich einige Schritte in Richtung Bezirk 58 gegangen war, hieß mich irgend etwas stehenbleiben und ich schaute über die Schulter zurück. Ich sag euch, ich riß sie aus den Klauen des Todes. In diesen meinen Armen verlor sie das Bewußtsein. Zum Glück fand ich in ihrer Handtasche einen Briefumschlag mit der Nummer ihres Hauses im Bezirk 58. Ich brachte sie dorthin zu ihren Leuten und setzte meinen Weg nach Bondeni fort … Warum erzähle ich euch von solchen Wundern? Weil das, was ich in der Höhle gesehen und gehört habe, alle seltsamen Dinge, die ich je erlebt habe, übertrifft.‹«
    Gatuiria und Wariinga schauten einander an — wahrhaftig, welch ein Wunder! Mwaura fuhr fort:
    »Danach fing Wangari an zu reden: ›Es stimmt also, daß der Schoß ein und desselben Landes den Dieb und den Zauberer hervorbringt? Auch ich habe noch nie so Seltsames erlebt wie in der Höhle!‹
    Ich sagte nichts dazu. Denn ich weiß ganz genau, daß es noch lange nichts Schlimmes ist, wenn man hier und da ein bißchen stiehlt. Auch Raub ist nichts Schlimmes, wenn man es nicht an die große Glocke hängt.
    Muturi sagte dann: ›Wißt ihr eigentlich, daß ein Dieb oder ein Räuber schlimmer ist als ein Zauberer?‹
    Da widersprach ich ihm aufs heftigste und sagte zu ihm: ›Ein Zauberer ist schlimmer als ein Dieb. Ein Dieb stiehlt dir nur dein Eigentum, aber dein Herz läßt er weiterschlagen. Morgen kannst du dich nach neuem Besitz umsehen. Aber ein Zauberer nimmt dir das Leben, und du mußt deinen ganzen Besitz anderenüberlassen. Ein Dieb stiehlt Besitz, aber ein Zauberer stiehlt dir das Leben.‹
    Als ich das gesagt hatte, wurde das Fleisch auf einem Holzbrett gebracht. Es war vorzüglich gebraten! Ich nahm mein Messer und zerlegte das Fleisch in kleine Stücke. Während wir aßen, erzählte Muturi eine Geschichte von einem Dieb und einem Zauberer:
    ›Vor langer, langer Zeit lebte in einem Dorf ein sehr gefährlicher Dieb. Er hatte das ganze Dorf ins Elend gestürzt, aber es war niemand gelungen, ihn auf frischer Tat zu ertappen, denn er war sehr gerissen. Nun lebte aber im selben Dorf auch ein äußerst gefährlicher Zauberer, der ebenfalls sehr gefürchtet war, denn seine Zauberkräfte waren noch machtvoller als jene, über die, wie wir wissen, Kamiri verfügte. Die Dorfältesten versammelten sich auf dem Dorfplatz. Sie beschlossen, den Zauberer zu bitten, den Dieb in den Tod zu zaubern. Der Zauberer prahlte, daß dies eine Kleinigkeit für ihn sei. Er suchte seine wirksamste und mächtigste Medizin zusammen, dazu die Zauberkalebassen und Zaubernüsse. Dann legte er sich schlafen. Am nächsten Morgen erwachte er zur gewohnten Stunde. Er überprüfte sein Zauberwerkzeug. Aber siehe da — der Dieb hatte alles gestohlen. Der Zauberer machte sich auf die Suche nach anderen Zauberutensilien. Und wiederum kam der Dieb heimlich und stahl alles. Schließlich wurde, sage und schreibe, der Zauberer gezwungen, das Dorf zu verlassen. Von dieser Geschichte stammen die Redensarten: Ein Dieb ist gefährlich, weil er sogar einen Zauberer verjagt; und die andere: Ein Dieb bestiehlt selbst seine eigene Mutter. Ein Dieb ist wie der Weiße Mann, von dem es heißt, daß er keine Freunde kenne!‹
    Darauf sagte

Weitere Kostenlose Bücher