Der Geliebte
Strömen, furchtbar. Ich freue mich schon darauf, wieder nach Hause zu kommen. Wie ist das Wetter bei euch?«
»Wie immer. Zumindest scheint die Sonne.«
»Schön. Jetzt wo es mit Ma so gut aussieht, komme ich wahrscheinlich schon morgen zurück, also einen Tag früher. Ich ruf dich an, sobald ich die genaue Zeit weiß, okay?«
»In Ordnung.«
»Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Ich legte auf und sah auf die Uhr. Neun. Die Mannschaft war um acht abgezogen. Michel brauchte schätzungsweise eine halbe Stunde, um zu sich nach Hause zu kommen. Er würde duschen, sich umziehen und dann wieder hierherfahren. Vor zehn brauchte ich nicht mit ihm zu rechnen.
Ich ging ins Bad, in den ersten Stock. Total verdreckt war es hier gewesen, mit hartnäckigem Kalk und anderem Schmutz, den ich auf dem Boden kniend abgeschrubbt hatte. Jetzt lag wie überall im Haus eine dicke Staubschicht auf den Fliesen und Armaturen. Es hing auch überall Staub in der Luft, man konnte ihn glitzern sehen, wenn die Sonne hereinschien. Als ich in der Dusche den Hahn aufdrehte, drang von irgendwo ein Rasseln und Quietschen an mein Ohr: Der Boiler ächzte offenbar unter der Anstrengung, aber zumindest funktionierte er. Warmes Wasser floss über meine Hand. Ich schaute in den Gang hinaus, zu dem die Tür noch fehlte. Wenn ich duschte, meist frühmorgens oder spätabends nach dem Essen, wusste ich normalerweise Eric und die Kinder in der Nähe. Jetzt war ich allein, in einem unfertigen Haus ohne Türen, und die nächsten Nachbarn wohnten einige Kilometer entfernt. Besonders mutig war ich noch nie gewesen, und ich würde es wahrscheinlich auch nicht mehr werden. Ich zog mich aus und legte die Kleider aufs Waschbecken. Stellte mich unter die Dusche und ließ mir das Wasser über den Körper laufen. Wusch mir die Haare und seifte mich mit Duschgel ein. Während ich mir mit den Händen über den Körper strich, betrachtete ich meine Haut, die schlaff geworden war, seit ich Bastian und Isabelle zur Welt gebracht hatte. Da war nichts mehr zu machen, auch mit irgendwelchen Cremes nicht. In der Bauchgegend baute ich das Fett einfach nicht mehr ab, ich konnte hineinkneifen.
Ich öffnete die Schiebetür und wühlte mit ausgestrecktem Arm in meinem Kulturbeutel nach dem Rasierer. Rasierte mir die Beine, die Achseln und die Bikinizone, peelte mir Gesicht und Hals und spülte alles im Abfluss weg. Dann trat ich aus der Dusche und wickelte mir ein Handtuch um den Kopf. Während ich mich abtrocknete, betrachtete ich mich selbst im Spiegel über dem Waschbecken. Der war alt und hatte schwarze Flecken, zeigte mir mein Spiegelbild aber mit geradezu sadistischer Präzision.
»Schau dir doch mal andere Frauen in deinem Alter an«, sagte Eric immer zu mir, wenn ich mich unsicher fühlte und das in der vertrauten Abgeschiedenheit unseres Schlafzimmers auch zugab. »Du hast einen wundervollen Körper.«
Aber das war eben Erics ganz eigene Mischung von Charme, Intellekt und Zerstreutheit. Andere fanden ihn bisweilen schlichtweg naiv. Ich kannte ihn ein halbes Leben lang. Ich hatte ihn schon gekannt, als sein Alltag noch nicht von Megaverträgen mit den Einkaufsabteilungen von Krankenhäusern, Versuchslaboren und Kliniken und von Gesprächen mit dem Gesundheitsministerium über Abfallentsorgung im Pflegebereich bestimmt war. Ich hatte gesehen, wie glücklich er über eine alte Ente mit verschlissener Kupplung gewesen war, unser erstes überdachtes motorisiertes Gefährt, mit dem wir Tausende von Kilometern zurückgelegt hatten. Wie er sich danach unsterblich in einen roten Fiat verliebt hatte, von dem sich herausstellte, dass er mehr Öl brauchte als ein durchschnittlicher Sizilianer in einer ganzen Woche, und der im heißesten Sommer seit Jahrzehnten in einem langen Stau zwischen Paris und Lille schließlich endgültig den Geist aufgab. Und ich hatte vor unserer Haustür auf ihn gewartet, als er - viele Jahre später und um so manche Beförderung und Erfahrung reicher - mit einem Lächeln, das in meinen Augen die ganze Stadt erstrahlen ließ, seinen ersten Geschäftswagen nach Hause gefahren hatte: elegant und glänzend, aufdringlich nach frischem Kunststoff riechend.
Das war früher.
Erics Lebenseinstellung hielt Schritt mit den Autos, die er fuhr. Genau wie bei den vierrädrigen Gefährten blieben die Grundprinzipien dieselben, nur die äußere Erscheinung änderte sich. Ganz langsam, im Laufe der Jahre.
Mit dem Unterschied, dass unsere Besitztümer immer neuer
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