Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
was darfst nie sagen, nur denken!«
Na ja, dachte ich. »Danke« ist schließlich auch ein Klopapier. Und »Lind« auch. Und doch nehme ich diese Worte häufig und gern in den Mund.
»Wegen der Bayern sollst ›Servus‹ sagen. Das ist ganz, ganz wichtig. Du glaubst gar nicht, wie viele beleidigte Briefe wir kriegen, wenn du nicht Servus sagst!«
»Ich denke, ich soll nicht versuchen, den Bayern zu gefallen.«
»Aber Servus musst du sagen. Sonst gucken drei Millionen Bayern nicht mehr ›Wört-Flört‹.«
»O.K., O.K., ich sag Servus«, versprach ich.
Ach, Gott, was war das eine anspruchsvolle, schwierige Sendung! Ob ich ihr jemals gerecht werden würde?
Das Hotel Willaschek war ein armseliger, kleiner bayrischer Landgasthof direkt an einer scheußlichen Durchgangsstraße. Das Zimmerchen, in dem ständig fette Landfliegen schwirrten, lag zur Straße raus, wo ununterbrochen die Laster bretterten. Ab morgens um fünf fuhren Trecker und Milchwagen. Ich wusste nicht, was ich lästiger finden sollte, die Landfliegen oder die Laster. Beide machten fürchterlich penetrante Geräusche. Landarbeiter knallten mit ihren Gerätschaften, die Müllabfuhr parkte direkt unterhalb meines Fensters, und die bayrischen Urviecher schrien, randalierten und fluchten und hielten bereits um halb sieben ihre erste Brrotzäitt sockrromentomol direkt auf dem Parkplatz unter meinem Fenster.
Ich war nicht vor halb eins ins Bett gekommen, und dann hielten mich viele böse Gedanken wach. Alles ging mir immer wieder durch den Kopf. Wortfetzen wie »trendy«, »völlick natürlick«, »Anmod negern«, »Strohkandidat«, »Picker bewachen«, »Requisite«, »Kamera justieren«, »Modeschiene«, »Wört-Flört-Tört« geisterten in meinem armen, unterforderten, aber überfütterten Gehirn herum. Vor meinem inneren Auge sah ich ununterbrochen Menschen. Menschen, die alle gleich aussahen, die alle das Gleiche anhatten, die gleich sprachen, die sich gleich bewegten, denen das Gleiche wichtig und vor allen Dingen das Gleiche unwichtig war. Es war, als hätte mein Kopf zuviel Fast food gefressen. Und nun war mir schlecht, obwohl ich nicht satt war. Und morgen würde ich wieder Fast food fressen müssen. Bis zum Erbrechen.
Ich saß in meiner kleinen Garderobe, wo die Obstschale stand und die Teekanne. Die wasserstoffblonde Silvia hatte schon dreimal angeklopft und gefragt, ob alles recht sei und wann sie neues Obst bringen solle und ob die Wolldecke für die Gymnastik aus Wolle sein müsse oder auch aus Acryl sein dürfe und ob ich zum Beschriften der Autogrammkarten lieber einen goldenen oder einen schwarzen Stift wünschte, es sei überhaupt kein Problem, sie werde alles sofort besorgen. Die wichtige Silvia störte sich auch nicht daran, dass sie eine arbeitsintensive Sitzung unterbrach. Ich war nämlich umringt von etwa zwanzig jungen Menschen, die alle gleich aussahen, und versuchte, mir ein Bild von den heutigen Kandidaten zu machen, die auch alle gleich aussahen.
Heute waren es ja keine Strohkandidaten mehr. Heute waren es echte. Gecastete Kandidaten, die einen Partner fürs Leben suchten. Und ich hatte die Verantwortung.
Oda-Gesine lagerte in einem breiten Sessel an der Wand und parkte ihre Füße, die aus den braunen Schnürschuhen quollen, unter meinem Schreibtisch. Die Schnürsenkel waren offen.
Ständig ging die Tür auf, und ein neuer junger Mensch steckte seinen trendy Kopf zur Tür rein, um etwas Wichtiges zu fragen oder zu vermelden.
»Die Videos wären jetzt da.«
»Was für Videos?«, fragte ich überrascht.
»Na, die Casting-Bänder. Die von den Kandidaten.«
»Ich denke, die Kandidaten sitzen schon im Aufenthaltsraum?«
»Erst schauen wir die Videos. Nur herein damit.« Oda-Gesine winkte mit einem Nougatriegel.
Wir zwanzig Menschen rückten alle unsere Stühle herum, um in einen winzigen Bildschirm zu starren, auf dem schlechte, flimmernde und abrupt zusammengeschnittene Interviews mit Köpfen, die alle gleich aussahen, zu sehen waren. Der Videorecorder stand am Fenster, sodass man auch noch gegen das Licht blinzeln musste. Aber alle fanden das O.K. Man arbeitete schon seit vielen Jahren so. Ich war die Neue. Und ich wollte nicht gleich mit guten Vorschlägen das Arbeitsklima stören.
Der erste Kopf erschien auf dem winzigen flimmernden Bildschirm und schrie gegen lautes Disco-Gedröhn an: »Also ich bin der Marc und, äh … Alter auch?«
Es flimmerte. Marc wurde angehalten. Marc wurde vorgespult. Marc brabbelte
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