Der General und das Mädchen
selben Zeit gestorben wie der General.«
»Wir sollten vielleicht nach dem Motorrad suchen«, sagte ich. Krümel kam aus dem Gras der sauren Wiese, ihre Haare sträubten sich.
»Verdammt viel Tod bei dem schönen Wetter«, sagte Böhmert müde und machte sich auf den Rückweg. Irgendwelche Reifenspuren waren nicht zu finden, dafür war es zu trocken.
»Was sagt Ihre Frau, spricht sie noch mit Ihnen?«
»Ich habe sechsmal angerufen und sechsmal gesagt, ich wäre in zehn Minuten da«, meinte er bekümmert.
»Das Leben ist kitschig. Es wird bestimmt eine prima Versöhnung.«
»Sehen Sie mal, Ihre Katze!« Er ging schneller.
Krümel war hinter einer dichten Gruppe aus Birkenbüschen verschwunden, kam wieder, miaute und rannte zurück. Da war das Motorrad, eine jener alten Hondas, die ich so mag, weil sie an gemütliche Reisen auf schmalen Landstraßen erinnern. Sie lehnte an einem Birkenstamm, das Hinterrad wies in unsere Richtung. Es war eine Bonner Nummer.
Böhmert kniff die Augen zusammen. »Die Maschine kenne ich doch irgendwoher.«
Es war unwirklich. Die Sonne stand steil über uns, am Hinterrad des Motorrads blühte blaßviolett eine wilde Malve. Krümel maunzte hinter uns, sie kam heran, schmal und nervös.
»Sie hat doch nicht noch etwas?« meinte er matt.
»Es sieht so aus«, sagte ich. Dann nahm ich Krümel auf den Arm, aber sie wollte nicht.
»Lassen Sie sie laufen«, sagte er. Es klang überlaut. Sie lief vor uns her.
Sie führte uns knappe dreißig Meter in eine unwegsame Wildnis aus Ginster, Eiche, Birken: eine Landschaft für Verliebte, sonnendurchflutet, abseits, verschwiegen, viel Farn, viel Moos.
Er lag auf dem Rücken wie der alte Mattes. Nur war er sehr jung, vielleicht zwanzig Jahre alt. Er hatte den Versuch gemacht, sich einen Bart wachsen zu lassen, aber es war nur dunkler Flaum geworden.
»Das ist Carlo«, sagte Böhmert düster.
»Wer ist Carlo?« fragte ich und ertappte mich dabei, daß ich flüsterte.
Böhmert sah furchtbar erschöpft aus. Er kratzte sich an der Stirn. »Wer ist Carlo? Ich weiß es nicht genau. Kein Kunde bei der Polizei, eher ein kleiner Kämpfer für Recht und Ordnung. Er stammt aus Godesberg. Carlos Vater ist Metzger, ganz rechtsaußen. Der Sohn sollte immer was Besseres werden. Er machte Abitur und sollte Jura studieren. Aber Carlo wollte nicht, Carlo wollte zeichnen und malen und so schnell wie möglich auf die Folkwangschule nach Essen. Tja, Carlo ...«
Einigermaßen verwirrt unterbrach ich ihn. »Was soll das? Carlo ist nicht vorbestraft, und Sie erzählen sein ganzes Leben. Woher wissen Sie das alles?«
Er kniete neben dem Toten nieder. »Carlo war ein Einzelgänger. Irgendwie versponnen, verträumt. Irgendwie der Rächer der Enterbten. Er war seit einiger Zeit hier in den Wäldern zu Hause. Jedenfalls ist er jetzt genauso tot wie Mattes und der General.«
»Hing er irgendwie mit dem General zusammen?«
»Nein. Nein, ich glaube, das wüßte ich.«
»Also lief auch er dem Mörder bloß über den Weg?«
»Ja, so stelle ich mir das auch vor. O Gott, wird das ein Theater. Das gibt einen Heidenwirbel.«
»Carlo. Wie weiter?«
»Carlo Mechernich. Eigentlich gehörte er zu den armen Schweinen. Fast immer war er allein, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Carlo hatte es über dem rechten Auge erwischt. Dort saßen zwei dicke, grünschillernde Fliegen. Angewidert verscheuchte ich sie, doch sofort ließen sie sich wieder auf der verkrusteten Wunde nieder.
»Seit wann kennen Sie ihn?«
»Seit dem Sommer vor zwei Jahren. Damals wurde eine junge Frau irrtümlich in Godesberg als vermißt gemeldet. Tausend Meter von hier gibt es ein altes Munitionslager der Bundeswehr.«
»Wo hat hier die Bundeswehr eigentlich kein Lager?«
»Tja, wir stehen auf heiligem militärischem Grund. Während des Zweiten Weltkrieges war hier oben die Luftwaffe stationiert. Hier wurden auch die Karnickel gezüchtet, aus deren Pelz dann das Futter der deutschen Fliegerjacken gemacht wurde. Nach dem Weltkrieg kam dann ein Munilager. Das wurde in den sechziger Jahren aufgegeben. Rund fünfzig Gebäude mitten im Wald auf einem Riesengelände. Da fanden wir die angeblich Vermißte. Sie saß dem Carlo splitternackt Modell in einem der alten Schuppen. Sie wartete darauf, daß er sie bumste, aber er malte sie nur. Übrigens verdammt gut. Seitdem trafen wir ihn immer
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