Der Gentleman
und tätschelte Roberts Hände.
»Bitte nicht böse sein, Liebling, und nicht ungeduldig werden. Das kriegen wir schon hin. Wir müssen den Gips Stück für Stück abklopfen.«
»Mensch, Meier!« stieß Robert, von der Maske auch im Sprechen behindert, dumpf hervor, während Lucia zu einem Hammer griff.
Zwei Stunden schlug Lucia Stückchen für Stückchen aus der mißlungenen Maske heraus; zwei Stunden fluchte Robert in allen Tonarten, und zwei Stunden wurde gewaschen, mit heißem Wasser aufgelöst, gehämmert und gemeißelt.
Und als das letzte Stück sich von Sorants Gesicht löste, nahm es einen Teil von seinen Stirnhaaren mit.
»Bist du böse auf mich?« fragte Lucia ihn, als er sich den Ton aus den Nasenlöchern polkte und ein finsteres Gesicht dazu machte.
»Nee.«
»Wie konnte mir das passieren, es muß ein Tröpfchen Gips in das Röhrchen geflossen sein. Es wäre eine so schöne Maske geworden.«
Da Robert immer noch mit dem Polken zu tun hatte und nichts entgegnen konnte, fragte sie ihn: »Wollen wir es noch einmal versuchen?«
»Nein!« schrie er auf.
»Morgen auch nicht?«
»Nie mehr!«
Lucia umarmte ihn.
»Ich werde also kein Andenken an dich im Besitz haben, das ich immer hätte betrachten und dem ich hätte erzählen können von allen Dingen, die passieren. Und ich hatte es mir so schön vorgestellt, eine Totenmaske von dir …«
»Ich finde das gar nicht schlecht«, meinte er, als sie verstummte, und spielte mit einigen Gipsstückchen. »Eine Totenmaske soll man nur, wie der Name schon sagt, von einem Toten machen. Ich aber will für dich nicht tot sein, sondern das Leben darstellen, das fröhliche, blühende, tanzende Leben.«
»Ja«, nickte sie. Und durch die Scheiben blinzelte lächelnd der Mond auf die Scherben der zerbrochenen Totenmaske.
Was Lucia in Gegenwart Roberts nicht zeigen wollte, das kam, als er sich von ihr verabschiedet hatte, um ins Hotel ›Zur Post‹ zu ziehen, ungehemmt zum Ausbruch: Lucia war unendlich traurig. Nicht, daß sie weinte und sich wie eine hysterische Frau mit einer rasenden Migräne ins Bett legte, nicht, daß sie Vasen zerschmiß oder am Telefon ihrer Mutter in Mühlheim ihr Herz ausschüttete. Lucia war anders, ganz anders. Sie fraß den ganzen Gram in sich hinein, verkapselte ihn in ihrer Seele und wollte sich zum x-ten Male sagen, daß sie doch nichts als ein kleines, dummes Mädchen sei.
Eigentlich war sie innerlich fast so geblieben wie vor drei Jahren, als sie von einem wesentlich älteren Studenten, für den sie jungmädchenhaft geschwärmt hatte, den sie sogar heimlich zu lieben geglaubt hatte, einen plötzlichen, keineswegs ernstgemeinten Kuß bekam. Ihre Reaktion bestand darin, mit dem ›Täter‹ einen Monat lang nicht ein Wort mehr zu sprechen. Fast ein Kind war sie damals noch gewesen und hatte nun doch schon, wie sie glaubte, einen Blick auf die Niedrigkeit des Lebens werfen müssen, die alles, was sie an jungmädchenhafter Sehnsucht in sich trug, erdrosselte. An die absolute Reinheit des Lebens hatte sie geglaubt, die nun mit dem Kuß des Studenten, der zudem auch noch verheiratet war, einen brutalen Riß erhalten hatte. Damals auch hatte sie sich das Urteil gebildet, daß eine anerzogene Moral stärker sei als eine angeborene, daß also im Inneren gar wohl der Wille lockte, dem Erlebnis die Hand zureichen, nach außen hin jedoch die Strenge der Erziehung allen Drang bezwang. Das Verbotene war mit wochenlangem Schweigen zurückgewiesen und gleichsam gesühnt worden. Seitdem klaffte in Lucias Seele ein Riß, seitdem lagen in ihrem Inneren zwei Ideologien im Kampf miteinander und trieben das Herz von Zweifel zu Zweifel, von Angst zu Angst. Können und Wollen, Erlaubnis und Verbot, Natur und Erziehung, Gefühl und Überlegung spalteten ihre Seele in zwei Hälften. Lucia erfuhr, daß bei allen seelischen Kämpfen der Sieg zuerst dem Geist und später vielleicht auch dem Gefühl zufiel.
Und so war es eigentlich immer geblieben. Lucia fühlte, daß sie sich bei Robert – bzw. Heinz – mehr vergeben hatte, als ihre Vernunft es hätte zulassen dürfen. Und doch war es keine Reue, die jetzt ihr Herz ergriff, sondern nur eine tiefe Traurigkeit darüber, die Heiligkeit der Liebe einem geschenkt zu haben, von dem sie wußte, daß er unerreichbar für sie war. Sie hatte nie versuchen wollen, zwischen Robert und Möpschen zu treten, um ihn dann mit allen Mitteln ihrer körperlichen und geistigen Reize zu sich herüberzuziehen. Und dennoch
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