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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gaukelte ihr ihre Fantasie das Wunschbild vor, sie ginge an Roberts Seite durch paradiesische Regionen, am Ringfinger der rechten Hand einen schmalen, goldenen Reif tragend.
    Die Wirklichkeit war anders. Die Wirklichkeit war die, daß Heinz Robs ab heute wieder im Hotel wohnte, sich ganz seiner Frau zuwandte und sie, Lucia, aus einem Traum erwachen ließ, in den sie sich selbst hineinversenkt hatte. Daß sie sich damit bewußt getäuscht hatte, kam ihr erst heute mit aller Macht zum Bewußtsein. Sie saß auf der Couch, starrte ins Licht der Stehlampe, weinte nicht, schluchzte nicht, sondern versenkte den Schmerz tief in sich hinein und wollte ihn sich bewahren als eine immerwährende Warnung für ihr ganzes ferneres Leben.
    Leben? Wozu noch?
    Plötzlich sah sie auf. Auf dem Teppich unter einem Stuhl lag etwas Weißes. Wie Papier sah es aus.
    Lucia stand auf, drehte die Deckenbeleuchtung an und hob den Gegenstand auf.
    Es war ein Brief, gerichtet an einen Dr. Karl Weinhagen in Köln.
    Einige Sekunden widerstand Lucia der Versuchung, etwas Unmögliches zu tun, dann tat sie es doch. Der Umschlag war nur flüchtig zugeklebt worden. Ihn mit einem Bleistift aufzurollen, erwies sich als Kinderspiel. Noch leichter würde es am Ende sein, sagte sich Lucia, das Kuvert mit Uhu wieder zuzukleben.
    Was Lucia da tat, war, wie gesagt, etwas vollkommen Unmögliches. Gar so unmöglich war es aber auch wieder nicht, denn man glaubt ja gar nicht, wie oft dies ständig unter den Menschen gemacht wird. Unzählige Male.
    Lucia faltete den engbeschriebenen Bogen auseinander. Je länger sie las, desto starrer wurde ihr Blick. Erst wollte sie gar nicht glauben, was in diesem Brief stand. Diese Ungeheuerlichkeit, dieser Betrug an ihr und ihrer Jungmädchengläubigkeit wollte ihr einfach nicht in den Sinn.
    Immer wieder las sie die Zeilen, besonders die letzten, schüttelte den Kopf, ließ den Brief in den Schoß sinken, nahm ihn wieder in die Hand, las ihn abermals, wischte sich über die Augen und konnte es immer noch nicht begreifen.
    Stand da nicht ganz deutlich, von seiner Hand geschrieben: ›… Ich will nun wieder heraustreten aus meinem Paradies … und will derjenige sein, welchen man im Bücherschrank …‹
    Der Bogen in ihrer Hand zitterte, die Buchstaben verschwammen ihr vor den Augen, und doch trat aus dem Nebel der Name hervor, sprang sie an, fratzenmäßig, raubtierartig – und zerfleischte sie:
    Robert Sorant.
    Heinz Robs, Heinrich Robs, der Buchhändler ohne Laden, der Komponist ohne Noten, war Robert Sorant.
    Der Gedanke war so ungeheuerlich, daß es Lucia den Atem verschlug.
    Aber stand es da nicht in seiner eigenen Schrift?
    Konnte es jetzt noch einen Zweifel geben?
    Sie erinnerte sich an seine Blattlauserzählung, an seine lustigen Gedichte, rief sich das Märchen von der Mückenimpfung ins Gedächtnis zurück, entsann sich seines Jonglierens mit Namen und Berufen. Hatten sie denn nicht schon öfters ganz massive Zweifel befallen?
    Lucia zitterte am ganzen Körper.
    Konnte ein Mann so lügen? Konnte ein Mann ein solch perfides Spiel treiben? Konnte ein Mann die Seele einer Frau so verachten, sie so in den Schmutz treten?
    Und als Lucia sich diese Fragen bejahen mußte, als der Name Robert Sorant nicht aufhörte, ihr von dem Brief wie Hohn entgegenzuschreien, brach sie zusammen. Von allen Wänden, aus jeder Ecke schien es zu dröhnen: Du bist betrogen worden, du warst ein Spielball, du warst ein seichtes Amüsement für Robert Sorant – Sorant – Sorant – immer wieder dieser gräßliche, widerliche, gewissenlose Sorant …
    Lucia verlor die Kontrolle über sich.
    Robert hatte Glück gehabt und in der ›Post‹ sogar wieder sein altes Zimmer erhalten. So konnte er sich in sein gewohntes Bett legen, sich vor den Spiegel stellen, der ihn nicht zwang, sich beim Rasieren zu bücken, die Ellenbogen auf den runden Tisch stützen, an dem er den Entschluß gefaßt hatte, in Altenbach den Frühling zu erleben und seine Seele reinzuwaschen vom ganzen äußeren und inneren Smog der Großstadt.
    Doch plötzlich haßte er diesen Tisch, den Spiegel, das Bett, als er im Zimmer stand und sich umblickte. Was hatte er denn vom Frühling gesehen? Anstatt alten Ballastes ledig zu werden, hatte er sich noch neuen dazu gepackt, nebst einer laufenden Scheidung. Anstatt seine Seele reinzuwaschen, hatte er diese damit belastet, ein Mädchen innerlich zerrissen zu haben, sie betrogen und erniedrigt, mit ihr ein Spiel getrieben zu haben, das

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