Der Gentleman
mich herausgezogen.«
Die Erinnerung an sie hatte sich nun also doch wieder eingestellt. Diese Reminiszenz war momentan stark, machte aber dennoch bald einer anderen Platz.
»Möpschen«, sprach er vor sich hin. »Möpschen.«
Er wurde von seiner eigenen Stimme aufgeschreckt, entdeckte dadurch, daß er vernehmbar in ein Selbstgespräch verwickelt war, und zwang sich, zu verstummen.
Möpschen, dachte er, habe ich dich betrogen? Habe ich dich wirklich betrogen? Betrüge ich dich noch? Heute? Morgen? Kannst du meine Sehnsucht nach Jugend nicht verstehen? Bin ich deshalb ein Schwein?
Hier ertappte sich Robert bei einem Fehler im Denken. Möpschen war ja auch noch jung; sie war zwar keine achtzehn mehr, aber auch noch keine dreißig. War das alt? Du lieber Himmel, nein!
Möpschen war hübsch, charmant, eine Frau von Welt und kultivierter Lebenshaltung. Möpschen war eine Frau, die impulsive Naturen zum schwärmen hinriß; und sie besaß auch ein außerordentliches Temperament.
Aber etwas fehlte ihr. Robert fand sich selbst gegenüber nicht gleich die Worte dafür. Je länger er aber grübelte, desto näher rückte er ihnen. Ja, jetzt hatte er es: Möpschen fehlte die Unbekümmertheit der reinen Jugend. Möpschen war Dame – Lucia ein Naturkind; Möpschen verkörperte kultivierte Selbstkontrolle, vielleicht sogar schon Degeneration – Lucia unberührtes, ungehemmtes Wachstum. Mit dem Instinkt eines Künstlers fühlte Robert Sorant, glaubte er zumindest zu fühlen, daß er für sein eigenes künstlerisches Wachstum beide Lebensformen brauchte, daß sich beide in ihm vereinen und ergänzen mußten, um einerseits seinen seelischen Zwiespalt am Leben zu erhalten und andererseits zur psychologischen Einheit beizutragen, die einen Künstler zum Meister seiner Werke werden läßt.
Für Robert Sorant stand es plötzlich fest: Möpschen war seine Erfüllung des Lebens, Lucia das Erlebnis, der künstlerische Antrieb. Beide waren von ihm nicht zu entbehren, wollte seine Kunst nicht im Mittelmaß hängenbleiben. Dies glaubte er jedenfalls wieder einmal. Und schon war der Weg zu Lucia nicht mehr weit.
Er beglich seine Zeche, um zu gehen. Dabei entwickelte sich aber zwischen ihm und dem Ober noch ein Gespräch.
»Sie sind doch Herr Eisner?«
»Ja, mein Herr.«
»Sie mögen mich nicht.«
»Doch, wie kommen Sie darauf?«
»Geben Sie sich keine Mühe, ich weiß es.«
»Das können Sie nicht wissen, weil es nicht stimmt«, erklärte, ein bißchen der Wahrheit zuwider, Martin Eisner.
»Ich fühle es, Herr Ober.«
»Zu Unrecht.«
»Nein, nein.«
Betrunkene reden gern. Da ein Gespräch sie aber anstrengt, neigen sie dazu, Pausen einzulegen.
Robert verstummte, blickte den Ober an und begann dann wieder: »Sie hatten vor kurzem frei.«
»Das ist nun doch schon wieder eine Weile her.«
»Sie hatten eine Familienangelegenheit zu erledigen.«
»Ja«, antwortete Eisner knapp. Wenn er mich nun auch noch fragt, welche Familienangelegenheit ich zu erledigen hatte, dachte er, werde ich ihm sagen, daß ich mich daran nicht mehr erinnern könne. Manche Gäste sind einfach unmöglich.
Sorant hatte aber eine ganz andere Überraschung für ihn parat.
»Was halten Sie von Möpschen?«
»Von was?«
»Von Möpschen.«
»Was meinen Sie damit, mein Herr?«
»Was ich sage. Möpschen ist ein Kosename, das müssen Sie doch merken. Was halten Sie von einem solchen Kosenamen?«
»Verwenden Sie ihn, mein Herr?«
»Ja, für meine Frau.«
»Ich finde ihn sehr hübsch.«
»Aber für meine Freundin …« Ein Schluckauf machte sich bei Robert bemerkbar. »… verwende ich keinen.«
»Verstehen Sie mich?« fragte er den Ober, als der schwieg.
»Ich denke schon, mein Herr.«
»Für meine Freundin verwende ich keinen Kosenamen. Was beweist das?«
»Das weiß ich nicht.«
»Daß ich meine Frau …« Schluckauf »… mehr liebe als meine Freundin. Ein Betrug zu Lasten meiner Frau findet also nicht statt, kann gar nicht stattfinden. Umgekehrt wäre das etwas anderes. Verstehen Sie mich?«
»Sie meinen, ein Betrug zu Lasten Ihrer Freundin könnte durchaus stattfinden?«
»Ja, wenn ich sie nämlich mit meiner Frau betrügen würde; dann hätte das Wort seine Berechtigung.«
»Ich verstehe«, erklärte Eisner und konnte sich nicht enthalten zu fragen: »Wer ist denn Ihre Freundin?«
Natürlich wußte er das genau, ganz Altenbach wußte das.
»Meine Freundin?« Schluckauf. »Das sage ich Ihnen nicht. Ich frage Sie ja auch nicht nach der
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