Der Gentleman
Ihren, Herr Ober. Haben Sie eine oder mehrere?«
»Gar keine«, sagte Eisner.
»Mehr als zwei verträgt ein Mann in Ihrem Alter nicht mehr. Die gingen über seine Kräfte.«
Das Gespräch fing aus der Sicht des Kellners an zu entgleisen. Eisner verweigerte deshalb eine Antwort, er schwieg.
»Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten, Herr Ober?«
»Ich will gar nichts behaupten.«
»Also doch, Sie wollen das Gegenteil behaupten?«
»Nein.«
»Sind Sie beleidigt, weil ich …« Schluckauf »… Ihre Kräfte angezweifelt habe?«
»Nein.«
»Also doch, Sie sind beleidigt. Darf ich Sie zu einem Versöhnungsschluck einladen. Kommen Sie, holen Sie sich auf meine Rechnung ein Glas Ihrer Wahl, und setzen Sie sich zu mir.«
»Danke, das geht nicht.«
»Warum geht das nicht? Ach, ich weiß, einem Kellner ist das untersagt, wollen Sie sagen. Aber wir sind doch hier allein.«
»Trotzdem geht es nicht.«
»Machen Sie keinen Zirkus, ich verrate Ihnen dann auch, wer meine Freundin ist.«
»Vielleicht weiß ich das schon.«
»Unmöglich, niemand weiß das.«
Eisner sagte sich plötzlich, daß es eventuell ganz gut war, diesem Menschen einen kleinen Schuß vor den Bug zu setzen, damit er vorsichtiger in seinen Äußerungen – und auch in seinem Benehmen – wurde.
»Darf ich raten, mein Herr?«
»Bit …« Schluckauf »… te.«
»Fräulein Jürgens?«
Dem betrunkenen Robert fiel der Unterkiefer herunter.
»Woher wissen Sie das?«
Eisner lächelte.
»Nun sind Sie verwundert, wie?«
»Woher wissen Sie das?« wiederholte Robert.
»Ich fürchte, Ihnen sagen zu müssen, daß das nicht nur ich allein weiß.«
»So?«
Der alkoholische Nebel in Roberts Gehirn war schon sehr dicht, sonst wäre es nicht passiert, daß man den Eindruck haben mußte, er wäre soeben vom Mond heruntergefallen.
»Darf ich Sie bitten«, fuhr er in dieser Art fort, »Diskretion zu wahren, Herr Ober?«
»Selbstverständlich.«
»Danke.« Robert hatte es plötzlich sehr eilig, zu Lucia zu kommen, um ihr Bericht zu erstatten. »Meine Rechnung, bitte, Herr Ober.«
»Sie haben schon bezahlt.«
»Ich habe schon bezahlt?«
»Ja.«
»Das müßte ich doch wissen.«
»Sie haben es vergessen, mein Herr.«
Robert dachte eine Weile angestrengt nach, schließlich sagte er: »Ich habe also schon bezahlt?«
»Ja.«
»Und ich hatte es vergessen?«
»Ja.«
»Aber Sie haben mich darauf aufmerksam gemacht?«
»Ja.«
»Dann …« Schluckauf »… sind Sie ein ehrlicher Mensch. Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen. Leider habe ich keinen auf, um das tun zu können. Ich trage nur ganz selten einen Hut, Herr Ober, wissen Sie. Das ist ein Fehler, wie sich nun herausgestellt hat. Verzeihen Sie mir.«
Unter einigen Mühen erhob sich Robert.
»Nun muß ich aber gehen, tut mir leid. Mir pressiert's. Ich kann Sie deshalb nicht mehr zu einem Glas einladen. Ich hätte das schon früher tun sollen, kam aber nicht auf die Idee. Verzeihen Sie mir. Wir holen das nach, ja?«
Der Kellner geleitete seinen Gast bis zur Tür.
»Sind Sie verletzt?« fragte er ihn.
»Wieso?«
»Sie hinken ja.«
Robert blieb stehen.
»Was tue ich?«
»Sie hinken.«
»Wer sagt das?«
»Man sieht es.«
»Wollen Sie behaupten, daß ich nicht mehr richtig gehen kann?«
»Sie verstehen mich falsch. Ich –«
»Sie behaupten also, daß ich betrunken bin«, unterbrach Sorant den Kellner. »Behaupten Sie das?«
»Keineswegs.«
»Das haben Sie aber behauptet!«
»Nein.«
»Ich habe es doch gehört!«
»Sie müssen sich verhört haben, mein Herr.«
Robert blickte aus trüben Augen den Kellner eine Weile an, winkte dann mit der Hand, setzte sich wortlos wieder in Bewegung und legte ohne eine weitere Unterbrechung den Weg zur Tür zurück.
Endlich war er draußen, und Martin Eisner, ›pries‹ innerlich wieder einmal jenen unglückseligen Moment vor 50 Jahren, in dem sein längst verstorbener Vater sich dazu entschlossen hatte, ihn eine Kellnerlehre antreten zu lassen.
Lucia empfing Robert, nachdem er an ihrer Tür geläutet und sie ihm geöffnet hatte, mit einem kleinen Wortschwall.
»Du hast doch Schlüssel? Warum schellst du? Ich dachte, es sei jemand anders. Ihr habt aber lange gebraucht. Von einer Stunde gar keine Rede. Ich habe in der Zwischenzeit ein Butterbrot gegessen, konnte es nicht mehr aushalten. Und du?«
Robert grinste sie an.
»Wie siehst denn du aus?« sagte sie, nahm ihn an der Hand, zog ihn in die Wohnung und fuhr fort: »Ich glaube, ich weiß, was du zu
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