Der Geruch von Blut Thriller
sehr aufgesetzt ist, sondern eher eine Art allgemeiner Ekel vor der Welt, in die sie geworfen wurden. Er kann sich genau vorstellen, wie sie es jener Politikerfrau gleichtun
und einen Callgirl-Ring aufmachen, nur um ihre Wildheit voll auszuleben.
Ihre Gleichgültigkeit und ihr generelles Desinteresse, vor allem an anderen Menschen, erschrecken ihn. Früher hätte er sie als Soziopathinnen ohne kriminelles Ventil bezeichnet. Aber jetzt sind sie für ihn einfach nur zwei traurige hyperintelligente Jugendliche, die kurz davor stehen, in eine von ihren Eltern geschaffene abgefuckte Gesellschaft entlassen zu werden. Abgesehen von sich selbst haben sie keine wirklichen Freunde. Sie verstehen sich zu gut, als dass sich jemand anderes in ihr Leben einmischen könnte. Eine so enge Freundschaft hat ihren Preis. Er weiß das.
Als er fast oben ist, riecht er den Alkohol in ihrem Atem. Das gute Zeug, hochprozentiger Bourbon. Klingt so, als tränken sie aus Styroporbechern. Wahrscheinlich ist er inzwischen in Sichtweite, aber er glaubt kaum, dass sie seinetwegen aufhören zu reden.
In ihren Augen ist Finn dazu da, möglichst viele Punkte zu verteilen und sonst nichts. Manchmal macht ihn das auf eine unbestimmte Art traurig. Aber letzten Endes hat er sich mit seiner Rolle abgefunden, und es ist fast erfrischend, nicht so ernst genommen zu werden. Schließlich ist es nur eine blöde Englischklasse und sonst nichts.
Lea sagt: »Sie wollen, dass ich ihn besuche, in seinem kleinen Zimmer.«
»Und du musst, du hast keine andere Wahl«, erklärt ihr Caitlin. »Du musst tun, was man von dir erwartet, und die nette kleine Schwester spielen.«
»Aber er wedelt damit rum.«
»Reden wir immer noch von seiner Prothese?«
»… aus Plastik und Metall … es gibt ja auch andere, viel bessere, die sehen aus wie eine echte Hand, aber er will lieber den Haken. Genauer gesagt, zwei Haken, die zusammenschnappen. Er macht eine richtige kleine Show daraus. Hebt Zigaretten auf und zündet sie an. Legt Patiencen und dreht die Karten mit Elan um. Zack, zack, zack. Anfangs haben meine Eltern applaudiert, aber inzwischen lassen sie ihre Hände doch lieber in den Taschen.«
»Wenn ich mich recht erinnere, war Michael meistens mit einem ziemlichen Elan bei der Sache. Beim Hockey zum Beispiel. Wenn er die anderen gegen die Glaswand geprügelt hat.«
»Er hat den Leuten ganz gern mal eins über den Schädel gezogen.«
»Und war gut darin. Auf dem Footballplatz auch.«
»Dauernd hat er seine Gegner umgerannt, wenn der Schiri nicht geguckt hat. Das nennt man aggressive Tendenzen.«
»Vorletzte Saison hat er Toddy fast das Genick gebrochen.«
»Ein paar gebrochene Wirbel, der Junge ist fürs Leben gezeichnet. Mein Vater hat ein hübsches Sümmchen bezahlt.«
»Toddy hat sowieso meistens den Kopf hängen lassen, wenn ich mich recht erinnere, und die Schultern auch.«
Als würden sie für ein russisches Theaterstück proben. Ihr gleichbleibender Tonfall würde Finn auf Dauer verrückt machen. Er ist plötzlich dankbar, dass die beiden im Unterricht so gut wie nie den Mund aufmachen.
Lea Grant ist sowohl in ihrem Auftreten als auch von ihrer Körperlichkeit gewichtig. In ihren Arbeiten benutzt sie normalerweise mindestens zwei Wörter, die Finn nicht kennt und später nachschlagen muss. Nachdem Roz ihm das Wörterbuch geholt hat, sagt sie: Dieses Mädchen braucht eine ordentliche Abreibung.
Wenn Finn Lea begegnet, sieht er Carlyles Geliebte vor sich. Schläfriger Blick, dicke Ringellöckchen, die über die Schultern fallen, eine Spur rosa Lippenstift. Drall, aber eine Power-Walkerin. Muskulöse Schenkel, mit denen man eine Walnuss knacken könnte. Carlyle unterhielt ein Syndikat in Triborough mit engen Beziehungen zu einigen Spitzenpolitikern und einem Haufen Polizisten. Jedes Mal, wenn der Staatsanwalt ihn vor Gericht zerrte, fingen eine Menge Leute an zu schwitzen, und auf dem East River schwamm ein halbes Dutzend Leichen.
Finn und Ray wurden beide vorgeladen und vernommen, weil sie einen von Carlyles Laufburschen eingelocht hatten. Finn fand Drohbriefe in seinem Spind. Selbst wenn nur jeder zwanzigste Cop gekauft war, summierte sich das. Einmal hinterließ ihm jemand ein fotokopiertes Bild von Dani mit roter Tinte, die aussah wie verspritztes Blut. Es war das Bild aus dem College-Jahrbuch. Irgendein Scheißkerl hatte seine Hausaufgaben gemacht. Finn klebte das Foto an die Wand des Umkleideraums und feuerte dreimal darauf. Das war eine
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