Der Geruch von Blut Thriller
uns einfach gehen.«
»Sie ist weg. Ich kann sie nicht mehr sehen.«
»Ist sie zum Carriage House gegangen?«
Vi zuckt mit den Achseln, die Bluse gleitet ihr leicht über die Brüste und Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Oder zum Torhaus?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Ich habe sie nur kurz gesehen, im nächsten Augenblick war sie schon wieder weg. Woher soll ich wissen, wohin sie gegangen ist? Sie klingen besorgt, Finn. Sie klingen krank vor Panik, und das macht mir Angst.«
»Es gibt nichts, wovor du Angst haben müsstest.«
»Sie lügen. Sie vertrauen mir kein bisschen.«
Er sieht nochmal zum Fenster, haucht gegen die Scheibe und hört einen Tropfen Kondenswasser herunterlaufen. Der Wind rauscht. Die Windspiele an den Schulgebäuden klimpern und klingeln. Er muss wissen, was Harley Moon meinte, als sie sagte, sie sei selbst auf dem Weg des Verderbens. Noch ein Mädchen, das ihm keine Ruhe lässt. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals.
Natürlich hat er alles falsch gemacht, und es wird ihn teuer zu stehen kommen. Er hat Vi verschreckt. Sie atmet unruhig, hat die Arme um sich geschlungen und reibt sich die Ellbogen. Seine Tage am St. Valarian’s sind gezählt. Ohne sich um den hereinwehenden Schnee zu kümmern, lässt er sich in den Schreibtischstuhl fallen.
»Ich würde Ihnen niemals wehtun«, erklärt Vi, während sie das Fenster schließt. Sie fährt ihm zärtlich mit der Hand durchs Haar. »Nicht wie Ihre Frau.«
Dann lässt sie ihn allein in der Dunkelheit sitzen.
Finn macht sich Sorgen, und er vermisst es, sie zu berühren. Er versucht, die wachsende Angst zu verdrängen,
und wartet darauf, dass Roz zurückkommt. Blutige Tagträume suchen ihn heim. Ein Schauder durchfährt ihn. Hörte das denn niemals auf? Der Sturm wird immer stärker. Er streckt die Hand aus und berührt die Fensterscheibe. Wahrscheinlich sind es gerade mal null Grad draußen. In seinem Kopf brüllt etwas. Vielleicht ist er es selbst, vielleicht auch nicht.
Die Worte werden undeutlicher, aber bedeutungsvoller: Roz, wo bist du? Was habe ich dir getan?
D as Internet vergisst nie, und vergeben tut es auch nicht gern. Wenn man früher, als Finn noch ein Kind war, eine Information suchte, musste man stundenlang Mikrofilme durchsehen und auf Maschinen abspulen, die alte Zeitungskopien als Negativ zeigten. Heute braucht man nur einen Namen bei Google eingeben - er muss nicht mal richtig geschrieben sein, das regelt das Internet von alleine -, und schon hat man eine komplette Lebensgeschichte zur Hand. Man muss gar nicht lange graben, die Leichen sind nicht allzu tief verscharrt.
Am Ende hatte sein Name relativ häufig in der Zeitung gestanden. Zuerst mit Ray und Carlyle, dann mit Dani. Sein Gesicht auf Seite 5, Seite 3, Seite 1. Mal war er der Held, oft der Idiot. Ein Haufen Nachrichten in schwarz-weiß.
Das IAD, das Dezernat für interne Ermittlungen, war fast genauso oft hinter ihm her wie hinter Ray. Auf den Fotos stand er meistens vor dem One Police Plaza oder vor dem Gericht und guckte stoisch und leicht aufgesetzt. Ray war immer am Lächeln und machte wie Nixon mit beiden Händen das Victory-Zeichen.
Später gelang es ein paar Fotografen, sich ins Krankenhaus zu schleichen und Bilder von Finn mit seinen Frankensteinnarben auf dem rasierten Schädel zu schießen. Roz bewahrte die Ausschnitte auf, bis er außer Lebensgefahr war, und las sie ihm dann einen nach dem
anderen vor. Als sie fertig war, fragte sie: Soll ich sie für dich aufbewahren?
Das Leben hatte ihr ähnlich hart zugesetzt wie ihm, was wahrscheinlich der Hauptgrund dafür gewesen war, dass sie zusammenkamen.
Vi hat im Internet nach ihm geforscht. Sein Lebensweg war im Tal nicht bekannt. Er hätte damit rechnen müssen, dass eins der Mädchen sich irgendwann für ihn interessieren und über seine Geschichte stolpern würde. Trotzdem hat er das Gefühl, dass jemand in seine Privatsphäre eingedrungen ist. Vi, die in seinen Haaren und in seinem Leben herumwühlt und von Danielle weiß. Mein Gott.
Seine Vergangenheit verfolgt ihn stärker als er sie.
Finn zieht den Mantel an und wieder aus, weil ihm zu warm darin ist. Er legt ihn über den Arm und tritt aus seinem Büro in den Korridor. Er fragt sich, ob Vi noch in der Nähe ist und ihn vom anderen Ende des Flurs aus beobachtet. Man kann leicht paranoid werden und das Gefühl haben, von Blicken verfolgt zu werden. Er kämpft dagegen an, aber es ist stärker.
Er schlägt mit dem Stock auf den Boden
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