Der Gesandte der Götter (German Edition)
dass noch niemand die Strecke in kürzerer Zeit als sie zurückgelegt hatte, denn selbst die Pferde von Eilboten waren der Schnelligkeit ihres Rappen nicht gewachsen. Sie hatte weder sich noch das Pferd geschont, und dennoch zeigte das Tier keinerlei Erschöpfung. Sie sorgte natürlich stets dafür, dass der Hengst das beste Futter bekam und in einem guten Stall untergebracht wurde.
An diesem Abend kehrte sie spät in einem winzigen Dorfgasthaus ein. Da der Ort nur aus wenigen Häusern und Gehöften bestand, war das die einzige Möglichkeit unterzukommen. Sie war so lange geritten, wie es ihre Kräfte und – wie sie meinte – auch die Kräfte des Pferdes es zuließen. Da es bereits dunkel war, hätte sie die nächste größere Ansiedlung erst bei tiefer Nacht erreichen können. So nahm sie mit dem vorlieb, was sie geboten bekam. Überall in Varannia war die Kost schmal geworden, denn die Leute waren arm – ausgesogen von Menas‘ Gier. So legte sie sich nach dem kargen Abendbrot in der kleinen Kammer nieder, wo man ihr ein Bett bereitet hatte, und war erschöpft sofort eingeschlafen.
Mitten in der Nacht wurde sie jedoch durch lautes Getöse geweckt. Ein Pferd wieherte schrill auf, und sie hörte das Knallen einer Peitsche. Sie rannte ans Fenster und sah noch, wie vier Reiter mit einem sich heftig bäumenden Pferd, auf das sie ständig einschlugen, in der Dunkelheit verschwanden.
In diesem Augenblick pochte es an ihrer Tür. Sie öffnete. Der Wirt stand draußen in einem langen Nachthemd und rang zitternd die Hände.
„Oh, welch ein Unglück, Euer Gnaden!“ jammerte er. „Man hat Euer Pferd gestohlen! Wie soll ich nur ein so kostbares Tier je ersetzen?“
Obwohl Loara schon beim Anblick der Szene vor ihrem Fenster sicher gewesen war, dass da ihr Pferd gestohlen wurde, durchfuhr sie nun nochmals ein heißer Schrecken. Wie sollte sie Chiron nun einholen? Nur mit diesem ausgezeichneten Renner hätte sie das schaffen können.
Doch als sie die Verzweiflung des Wirts sah, der erwartete, von ihr wegen des Diebstahls zur Rechenschaft gezogen zu werden, hatte sie Mitleid mit dem Verängstigten.
„Beruhige dich nur, guter Mann!“ sagte sie. „Du brauchst das Pferd nicht zu ersetzen. Das könntest du auch gar nicht, denn dieses Tier ist unbezahlbar. Aber ich bitte dich, mir zu helfen, die Diebe ausfindig zu machen, sobald es hell ist, oder mir zumindest zu sagen, wo ich ein anderes gutes Tier bekommen kann. Ich bin in großer Eile, und nur ein schnelles Pferd entscheidet vielleicht über Leben und Tod.“
„Ach, Euer Gnaden“, klagte der Wirt, „weder hier bei uns noch im nächsten Ort werdet Ihr ein Pferd finden, dass Euren Ansprüchen genügen würde. In unserem Dorf gibt es nur drei schwere Gäule für die Arbeit und ein paar Esel. Die guten Tiere sind schon längst von den Steuereintreibern fortgeführt worden.“
Tiefe Verzweiflung überfiel Loara. Was sollte nun werden? Chiron würde in sein Verderben rennen, wenn sie ihn nicht rechtzeitig erreichte. Aber wie sollte sie ihn ohne das Pferd einholen?
Da an Schlaf nicht mehr zu denken war, folgte sie dem Wirt in die winzige Gaststube, wo er ihr zur Beruhigung ein Glas heißen Gewürzweins brachte.
Als der Morgen anbrach, machte der Mann sich auf den Weg, um für Loara ein halbwegs gutes Reitpferd aufzutreiben. Sie gab ihm genügend Geld mit und mahnte ihn, nicht damit zu sparen, wenn er nur ein anständiges Pferd erwerben könne. Am Nachmittag kam der Wirt zurück. Doch das Pferd, von dem er abstieg, war nicht gerade als Vollblut zu bezeichnen. Es war schon alt, die Rippen schauten aus seinem struppigen Fell hervor und es ließ den Kopf hängen. Als der Wirt Loaras enttäuschtes Gesicht sah, drehte er verlegen die Mütze in den Händen.
„Verzeiht mir, Euer Gnaden“, sagte er unglücklich, „ich weiß, dass dieses Tier gewiss nicht dem entspricht, was Ihr erwartet habt. Aber das war das beste Pferd, das ich finden konnte. Alle anderen waren noch schlechter.“
„Schon gut, mein Lieber!“ seufzte Loara verzweifelt. „Ich weiß, dass du dein Bestes getan hast. Aber mit diesem Tier werde ich mein Ziel nie in der erforderlichen Zeit erreichen. Ich kann nicht einmal sofort aufbrechen, denn das Pferd ist erschöpft und braucht Ruhe und kräftiges Futter, damit es überhaupt noch eine Weile durchhält. So kann ich frühestens morgen aufbrechen und verliere einen ganzen Tag. Und dieser eine Tag kann alle Hoffnungen
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