Der Gesandte des Papstes
Kriegswunden. Ich habe sie aus dem Heiligen Land. Aus Akkon.«
»Das sind Foltermale, keine Kriegswunden!« Raoul warf ihm das Hemd vor die Füße. Matteo hob es auf und drehte das Knäuel in den Händen. Er suchte nach Worten.
»Wirst du es für dich behalten?«, sagte er schließlich. »Ich will nicht, dass jemand davon erfährt. Bei dir macht es mir nichts aus, du bist ein Freund. Aber bei den anderen …«
»Warum hast du dir dann so viel Mühe gegeben, es vor mir zu verheimlichen?«
»Wenn du so aussehen würdest, würdest du es der ganzen Welt auf die Nase binden? Außerdem ist es eine lange Geschichte.«
»Gut, Matteo. Ich höre.«
»Es ist kalt. Ich friere. Darf ich mich wenigstens vorher anziehen?«
»Nein. Zuerst die Geschichte.«
Matteo hob die Arme und ließ sie hilflos sinken. Er seufzte. »Na schön. Du bekommst deine Geschichte. Als ich aus dem Heiligen Land zurückkam, wusste ich nicht, wohin. Mein Herr war tot, in Akkon gefallen. Den Hof meines Vaters gab es nicht mehr. Ich zog eine Weile umher. In Mailand hörte ich einen Prediger. Er redete von einer neuen Kirche, der in Frankreich schon viele tausend beigetreten seien. Was er sagte, gefiel mir, und ich schloss mich ihm an.«
Raoul brauchte einen Augenblick, bis er begriff. »Du wurdest ein Katharer«, sagte er langsam.
Zorn flackerte in Matteos Augen auf. »Beim heiligen Evangelium, ich war jung und dumm! Es dauerte Jahre, bis ich begriff, worauf ich mich eingelassen hatte. Als ich erfuhr, dass der Papst alle Katharer exkommuniziert hatte, verließ ich die Gemeinschaft und ging zu einem Priester, der mich schon als Kind gekannt hatte. Ich flehte ihn an, mich noch einmal zu taufen, aber dieser Hund hatte nichts Besseres zu tun, als zur Inquisition zu laufen. Unter der Folter zwangen sie mich, meine ehemaligen Brüder zu verraten. Sie wurden gefangen und verbrannt. Mir wäre es genauso ergangen, wenn Morra nicht gewesen wäre. Er suchte jemanden für eine Reise ins Heilige Land. Als er von meinen Sprachkenntnissen hörte, setzte er sich beim Inquisitor für meine Freilassung ein und verlangte als Gegenleistung, dass ich in seine Dienste trete. Das ist die ganze Geschichte. Bist du jetzt zufrieden? - Herrgott, ist das kalt!« Er hastete über die
Uferwiese, hob seine Hose auf und stieg so hastig hinein, dass er fast das Gleichgewicht verlor.
»Nein«, sagte Raoul. »Wieso hat Morra dir vertraut?«
Matteo schlüpfte in sein Hemd. »Was soll diese Frage?«, erwiderte er gereizt. »Warum sollte er mir misstrauen?«
»Er hielt dich für einen Ketzer. Jemandem wie dir vertraut kein Kardinal ein Schriftstück an, das über die Zukunft der Kirche entscheidet.«
»Du hast doch gehört, was er in Rom gesagt hat. Er hatte keinen anderen. Erst recht keinen, der Arabisch spricht.«
Raoul setzte sich auf die Stufen. Er wusste nicht mehr, was er von Matteo halten sollte. Sie waren Freunde geworden in den letzten Wochen. Seit Trapezunt hatte ihre Freundschaft allerdings Schaden genommen, denn der Toskaner fürchtete sich immer noch vor Jada und sah die wachsende Nähe zwischen ihr und Raoul nicht gern. Und nun diese Geschichte … Matteo hatte viel durchgemacht, nur weil er aus Leichtgläubigkeit und Unwissenheit einer neuen Kirche gefolgt war, die den machtvollen Heiligen Stuhl herausforderte. Raoul hatte Mitleid mit ihm und wusste gleichzeitig, dass seine Anteilnahme fehl am Platz war. Denn letztlich lief alles auf eine Frage hinaus: »Was hat Morra dir versprochen?«
»Versprochen? Was sollte er mir versprochen haben?«
»Damit du tust, was er verlangt hat, und nicht unterwegs das Weite suchst.« Die Antwort kam Raoul, als das letzte Wort ausgesprochen war. Natürlich, nur so ergab alles einen Sinn. »Er hat dir angeboten, dich wieder in die Kirche aufzunehmen, nicht wahr? Du musstest nur die Vita abliefern und mit Battista den Stab finden, und all deine Sünden sollten vergessen sein. So war es doch, richtig?«
Der Toskaner stand mit herabhängenden Armen auf der Wiese und schwieg lange. Schließlich sagte er: »Du hast keine Ahnung von den Kerkern der Inquisition. Du weißt nicht, wie es dort zugeht. Es ist dunkel und kalt. Ratten und Schaben krabbeln
auf dir herum, wenn du schläfst. Und dann die Folter. Die gleichen Fragen, immer wieder und wieder, während sie dir Nadeln und glühende Eisen ins Fleisch treiben. Aber am schlimmsten ist die Angst. Tagaus, tagein erzählen sie dir, dass die wahre Folter erst beginnt, wenn du tot bist. Auf
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