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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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hatten Jahrzehnte des bequemen Palastlebens und seine Vorliebe für üppige Mahlzeiten dafür gesorgt, dass seine einst gertenschlanke Gestalt der Vergangenheit angehörte.
    Eine breite Treppe am Ende der Arkaden führte zum großen Wohnturm hinauf. Einer der beiden Wachposten öffnete wortlos einen Türflügel und ließ ibn-Marzuq eintreten.
    Im Innern des Turms war es still und genauso kühl wie in seinen eigenen Gemächern. Stellwände aus geflochtenem Schilf schufen Nischen. Zwei Balustraden aus Zedernholz umliefen den Raum, eine in sieben Ellen Höhe, die zweite unterhalb des Dachgebälks. Kupferbeschlagene Truhen standen auf dem Boden aus Schlangenstein, in dem sich ibn-Marzuqs Gestalt geisterhaft spiegelte. Abendlicht fiel durch die Fenster und verfing sich in den Vorhängen, die so leicht und durchscheinend waren wie blaue und orangefarbene Spinnweben.
    Der Sohn des Himmels saß auf goldenen Kissen und schrieb. Als der Wesir näher kam, sah er auf.
    »Mein Gebieter«, sagte ibn-Marzuq und warf sich nieder, das Gesicht zur Erde gewandt. Nach sechs Herzschlägen - vier waren für seinen Rang vorgeschrieben, doch sein Herz pochte so wild wie eine Kriegstrommel - erhob er sich mühsam. Den Protest seines Rückens ignorierte er.
    »Harun«, sagte Sultan an-Nasir mit sanfter, melodischer Stimme. »Setz dich zu mir.«
    Ibn-Marzuq kam der Aufforderung nach, achtete jedoch darauf, sich nicht in unangemessener Nähe niederzulassen. Es war eine große Ehre, dass er sich überhaupt setzen durfte, und
er wollte zeigen, dass er sie zu würdigen wusste. Ein unbedarfter Besucher hätte den Eindruck gewonnen, außer den beiden Männern sei niemand im Raum, aber ibn-Marzuq wusste es besser. Hinter den Schilfwänden und Seidentüchern verbargen sich Männer, die in der Lage wären, ihn niederzustrecken, sowie die kleinste Bewegung seinerseits darauf hindeutete, dass er dem Sultan ein Leid antun wollte.
    Al-Malik an-Nasir Muhammad trug ein einfaches Gewand aus goldenem Tuch, das am Kragen hochgeschlossen war und seinen schlanken Leib bis zu den Füßen verhüllte. Seine Haut hatte die Farbe dunklen Kupfers und war makellos, bis auf die kleine pfeilförmige Narbe über einer Augenbraue. Abgesehen von einem kurzen schwarzen Bart zwischen Unterlippe und Kinn war sein Schädel kahlgeschoren. Er war ein Mann von neunzehn Jahren, aber seine Augen gewährten einen Blick auf eine Seele, die durch früh erfahrenen Verrat älter und reifer geworden war als die physische Gestalt des Herrschers der Mamelucken.
    Die feingliedrigen Finger legten Pergamentrolle und Federkiel beiseite. »Die nächste Zusammenkunft des Rates ist erst in vier Tagen. Ich habe nicht erwartet, dich schon so bald wiederzusehen, mein lieber Harun.«
    Das war eine Anspielung darauf, dass ibn-Marzuq die letzte Ratssitzung wutentbrannt verlassen hatte. Der Wesir überging sie geflissentlich. »Ich komme wegen einer anderen Angelegenheit, mein Gebieter. Einer Eurer Informanten hat eine Nachricht geschickt. Aus Rom.« Er sagte nicht »meine Informanten«. Der Sultan sollte nicht daran zweifeln, dass niemand außer ihm selbst alle Fäden in der Hand hielt. »Hier, lest selbst.«
    An-Nasir nahm den Brief entgegen. Er beherrschte die Sprache der Christenheit nicht ganz so gut wie ibn-Marzuq, aber immer noch gut genug für die ungelenken Sätze des Hauptmanns. »Unser Freund Morra sucht also nach dem Stab des Antonius.« Der Sultan blickte ibn-Marzuq an. »Diesem Stab?«
    »Es gibt keinen anderen, mein Gebieter.«

    »Weiß Morra, was es damit auf sich hat?«
    »Alles spricht dafür«, sagte ibn-Marzuq. »Wenn er ihn nur für eine alte Reliquie hielte, würde er sich nicht solche Mühe machen.«
    »Der Papst soll regelrecht besessen von Reliquien sein, hörte ich.«
    Ibn-Marzuq nickte. »Aber üblicherweise lässt er sie einfach fälschen, anstatt sie vom Ende der Welt herbeizuschaffen.«
    Der junge Sultan betrachtete das Pergament, dann hob er den Kopf. Ibn-Marzuq bemerkte die Beunruhigung, die in den grünen Augen aufflackerte. »Könnte Morra Erfolg haben, Harun?«
    »Ja - wenn es wirklich der echte zweite Teil der Vita Antonii ist, den er besitzt. Aber ich zweifle kaum daran. Rom lässt seit Jahrhunderten danach suchen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie eines Tages darauf stoßen würden.«
    An-Nasir saß eine Weile reglos und in Gedanken versunken da; schließlich sagte er: »Wir dürfen nicht zulassen, dass Bonifatius über eine solche … Waffe verfügt. Er

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