Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
Vom Netzwerk:
hatte Raoul ihn noch nie dabei beobachtet. Davon abgesehen mochte er Gaspare, der, wie er erfahren hatte, aus Pisa stammte und Buchhalter für einen römischen Bildhauer gewesen war, bevor Morra ihn in seine Dienste genommen hatte.

    Schlechte Laune schien dem Toskaner vollkommen fremd zu sein. Er erzählte den ganzen Tag Geschichten und war nicht so übertrieben unterwürfig wie andere Gemeine, wenn sie einen Edlen vor sich hatten.
    Durch den Wetterumschwung hatte es in der Kajüte merklich abgekühlt. Raoul zog Rock und Hose an. Währenddessen beugte Gaspare sich vor und trank etwas von dem Wasser. Jetzt erst sah Raoul, dass auf dessen Knien die geöffnete Schriftrolle lag. Der Toskaner legte sie beiseite, zog den Beutel mit ihren Vorräten unter der Liege hervor und löste die Schnüre. Nacheinander holte er Brot, getrocknetes Ziegenfleisch und zwei schrumplige Äpfel heraus. »Das ist alles. Wenn es aufgebraucht ist, heißt es morgens, mittags und abends Fisch. Einen Apfel?« Er sprach Französisch. Seit dem ersten Tag auf See unterhielten sie sich nur noch in Raouls Muttersprache. Gaspare hatte damit so wenig Mühe wie mit Latein und Griechisch.
    Raoul ignorierte die angebotene Frucht und wies mit einem Nicken auf die Schriftrolle. »Darf ich das sehen?«
    »Natürlich.« Der Toskaner zuckte mit den Schultern und biss in den Apfel.
    Das Pergament war an beiden Enden ein Stück zusammengerollt; der Text, den Raoul vor sich sah, war ein Abschnitt aus der Mitte. »Ist das Griechisch?«
    »Eine Übersetzung hätte zu viel Zeit gekostet, deswegen hat Seine Eminenz nur eine Abschrift anfertigen lassen. Aber das ist nicht weiter schlimm; Battista kann Griechisch. Er hat eine Weile in Konstantinopel gelebt.«
    Cristoforo Battista war der »Freund des Heiligen Stuhls«, von dem Morra gesprochen hatte - jener Mann, dem Gaspare die Schriftrolle übergeben sollte. Ein Venezianer, der sich wie viele seiner Landsleute im Heiligen Land als Kaufmann betätigte.
    Donner grollte in der Nacht, und die Laterne schaukelte, als die »Elýsion« von den Wellen gebeutelt wurde. Über ihnen
erklang das Gebrüll eines Seemanns, der das Getöse zu übertönen versuchte.
    »Christus«, murmelte Gaspare. »Mach, dass das alles gut ausgeht.« Er war aufgestanden und drehte die Laterne auf, während er sich schwankend auf den Beinen hielt. Goldenes Licht erfüllte die Kajüte. Raoul wickelte die Schriftrolle weiter auf. Zwischen den unverständlichen Buchstaben erschien eine Zeichnung. Sie stellte ein prächtiges, goldenes Zepter dar, in dessen kronenförmigem Kopf Rubine eingesetzt waren und das von einem himmlischen Strahlen umgeben war. »Was ist das?«, fragte er und hielt die Rolle hoch.
    Gaspare hatte sich wieder gesetzt. »Antonius’ Stab.«
    In Morras Anwesen gab es eine umfangreiche Bibliothek. Raoul hatte die Tage vor ihrer Abreise genutzt, dort seine Wissenslücken zu füllen, die in dem Gespräch mit dem Kardinal offenbar geworden waren. Der heilige Antonius hatte vor tausend Jahren als Einsiedler am Roten Meer gelebt, wo ihm Satan in Gestalt von Dämonen und schönen Frauen erschienen war, um ihn von seinem gottesfürchtigen, enthaltsamen Leben abzubringen. Antonius widerstand den Versuchungen, vollbrachte wundersame Heilungen und nahm andere Christen, die vor der Verfolgung durch Kaiser Diokletian geflohen waren, bei sich auf. Auf Bildern war er immer mit seinem Stab zu sehen - der sich allerdings beträchtlich von der Zeichnung in der Schriftrolle unterschied. »Ein bettelarmer Eremit soll ein Zepter aus Gold und Edelsteinen besessen haben?«
    Gaspare hatte den Apfel samt Gehäuse verzehrt, schnippte den Stiel fort und wischte sich die Finger an der Hose ab. »In Wirklichkeit war es eher ein Krückstock. Aber Athanasios hat Antonius verehrt. Er scheint es für nötig gehalten zu haben, manche Einzelheiten an dessen Leben nachträglich zu verbessern. Das Manuskript ist voll von solchen Ausschmückungen.«
    »Nach tausend Jahren wird von einem Krückstock nicht mehr viel übrig sein.«

    »Wer weiß schon, was alles möglich ist. Wir sollten die Schriftrolle wieder verstauen. Die feuchte Luft ist schlecht für das Pergament.«
    Raoul gab das Schriftstück Gaspare zurück, der es zusammenrollte, in das Futteral schob und dieses zu seinen anderen Sachen unter der Liege tat. Dann streckte sich der Toskaner auf der Liege aus, den Kopf auf die verschränkten Arme gestützt.
    »Wo habt Ihr all diese Sprachen gelernt?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher