Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Libanons lagerten. Die Israelis räumten dieses Depot aus und verkauften Gaddafis Geschenke an Interessenten in Afrika …
Mein Abstecher nach Libyen war indes ein kurzes Zwischenspiel. Anschließend nahm ich Benita und Baschar in Algier erneut in Empfang und ging mit ihnen bald darauf nach Kairo, wo meine älteste Schwester Mariam die beiden in ihr Haus aufnahm – und wir im Herbst Zeugen eines Ereignisses wurden, mit dem niemand gerechnet hatte, nicht einmal die Israelis. Ich spreche vom Oktoberkrieg, der in der westlichen Welt nach dem israelischen Sprachgebrauch Yom-Kippur-Krieg heißt.
Die nie erlebte Atmosphäre einer verhaltenen, fast spitzbübischen Freude, die während der ersten Kriegswoche in den Straßen von Kairo herrschte, ist mir in lebendiger Erinnerung geblieben. Und in Anbetracht der spärlichen Erfolge, die die arabischen Staaten im Kampf um Palästina gegen Israel zu verzeichnen haben, ist es vielleicht verzeihlich, dass ich beim Gedanken an den Oktoberkrieg bis heute jene Genugtuung verspüre, die sich damals angesichts der Erfolge der ägyptischen Armee und der taktischen Meisterleistung des ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat bei mir einstellte. Denn Sadat hatte alle – Israelis wie Araber – seit seinem Amtsantritt irregeführt, hatte von Kriegsplänen gesprochen und immer neue Ausflüchte gefunden, den Angriff abzublasen. Er hatte kurz vor dem tatsächlichen Kriegsausbruch sogar die sowjetischen Militärberater nach Hause geschickt, die Nasser einst ins Land geholt hatte, und als trotz aller Geheimhaltung Gerüchte von
einem – wieder einmal – bevorstehenden Krieg durchsickerten, glaubten die Israelis an eine weitere Drohgebärde Sadats und maßen der Information keinerlei Bedeutung zu. Sadat war, bei seinen eigenen Leuten wie bei den Israelis, längst als ewiger Zauderer oder harmloser Wichtigtuer abgestempelt.
In Wirklichkeit hatte Sadat seine Armee beharrlich aufgerüstet und reorganisiert, einen Großteil der Analphabeten unter seinen Soldaten durch Männer mit Universitätsabschluss ersetzt und sich mit sowjetischen Raketen eingedeckt. Vermutlich hätte der israelische Geheimdienst den Bluff des Ägypters dennoch irgendwann durchschaut, wäre er nicht vollauf damit beschäftigt gewesen, unsere Leute zu ermorden. In gewisser Weise war die Unaufmerksamkeit des Mossad wohl auch seiner Fixierung auf Arafat und die palästinensischen Befreiungsbewegungen geschuldet, ohne dass die PLO je vorgehabt hätte, Ablenkungsmanöver durchzuführen. Als der Angriff auf die Bar-Lew-Linie dann tatsächlich erfolgte, wurden die Israelis von den Ägyptern jedenfalls genauso überrascht, wie die Ägypter im Sechstagekrieg von den Israelis überrascht worden waren.
Nach dem Sechstagekrieg hatten die Israelis das Ostufer des Suezkanals für 500 Millionen Dollar nach dem Vorbild der französischen Maginotlinie mit einem Verteidigungssystem aus zwanzig Meter hohen Schutzwällen und zahlreichen Bunkern befestigt, das nach dem israelischen Stabschef Chaim Bar Lew benannt worden war. In dieses Bollwerk war das gesamte Schienennetz des Gazastreifens verbaut worden – die Israelis hatten die Schienen einfach herausgerissen und an den Kanal geschafft. Nichts davon konnte die ägyptischen Soldaten aufhalten, nicht einmal das mit Brennstoff gefüllte Rohrleitungssystem, durch welches das Ostufer auf der gesamten Länge des Kanals in Flammen gesetzt werden konnte, als sie in den Morgenstunden des 6. Oktober 1973 nach stundenlangem Artilleriefeuer zum Sturm ansetzten. Ägyptische Pioniere
unterspülten die Fundamente des israelischen Schutzwalls mithilfe außergewöhnlich starker Wasserpumpen, sodass sich eine Bresche nach der anderen in der Bar-Lew-Linie auftat und alle Bunker bis auf einen von Soldaten überrannt wurden, die in einfachen Holzbooten über den Kanal gesetzt hatten. Gleichzeitig überquerten Panzer auf recht primitiven, aber in kürzester Zeit installierten Pontonbrücken den Kanal – schneller, als irgendjemand für möglich gehalten hatte –, und stießen in den israelisch besetzten Sinai vor. Als die israelische Luftwaffe daraufhin Angriffe flog, gelang es den Ägyptern zum ersten Mal in der Geschichte des Nahostkonflikts, eine größere Zahl von Kampfflugzeugen mit Raketen vom Himmel herunterzuholen.
Ich war gerade bei meinem Bruder Mohammed in Kairo zu Besuch, als der Krieg ausbrach, und in den nächsten zwei Wochen verfolgte ich das Geschehen zusammen mit Abu Iyad, Abu
Weitere Kostenlose Bücher