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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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lebhaftere
Gefühle zu zeigen. Abgesehen von dem grundsätzlichen Vorwurf, ihnen nach dem Leben zu trachten, bestand die Gesprächstaktik – vornehmlich bei Israelis – darin, ausschließlich aktuelle Vorkommnisse zu thematisieren. Die historische Entwicklung, die Ursachen des Konflikts wurden sorgsam ausgeklammert. Mir hingegen lag daran, zunächst klarzustellen, dass wir Palästinenser schon in diesem Land lebten, bevor es Israel gab, dass also sie die Fremden in Kanaan waren, nicht wir . Bisweilen war – bei Juden wie Israelis – auch eine unterschwellige Aggressivität zu spüren, die ganz offenbar dem Bedürfnis entsprang, sich an uns für alles zu rächen, was Juden je angetan worden war: für die Pogrome in Russland, für die Erniedrigungen, die die christliche Welt ihnen jahrhundertelang bereitet hatte, für die Verfolgung unter Hitler. Ich habe manchen meiner jüdischen Diskussionspartner darauf hinweisen müssen, dass nicht wir für die Leiden der Juden in der Vergangenheit verantwortlich gemacht werden können.
    Aber gleichgültig, wie abwegig – ich hatte mir zum Grundsatz gemacht, auf jede Argumentation einzugehen, und bisweilen konnte eine Diskussion dann doch hitzig verlaufen. Es kam auch vor, dass sich die Auseinandersetzung anschließend vom Fernsehstudio auf die Straße verlagerte. Nach einem Auftritt im Hessischen Rundfunk schlug ich mit Benita den Weg zur Frankfurter Fressgasse ein, als sich plötzlich ein Unbekannter vor mir aufbaute. »Jetzt hör mal zu!«, fuhr er mich an. »Wir kriegen jeden! Egal, was er anstellt, um sich zu schützen – wir bringen ihn um!« Offenbar hatte er die Sendung gesehen. Ich wünschte ihm einen schönen Tag und ließ ihn stehen. Genauso konnte man aber auch Überraschungen ganz anderer Art erleben. Ich erinnere mich an eine Begegnung auf der Frankfurter Buchmesse, wo wir an einem eigenen Stand die neuesten Bücher über Palästina vorstellten.

    Es hatte sich dort bereits ein Publikum eingefunden, das heftig debattierte. Irgendwann schaltete sich ein älterer Mann, der still zugehört hatte, in die Diskussion ein und wandte sich mit den Worten an mich: »Die Zionisten sind alle Terroristen. Terroristen und Faschisten. An Ihrer Stelle würde ich nicht so nachsichtig argumentieren.« Du lieber Gott, dachte ich – ein Nazi! Etwas Schlimmeres als ein Nazi am Stand kann einem kaum passieren. Ich wollte ihn zurechtweisen, aber er kam mir zuvor. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Seien Sie unbesorgt. Ich bin Jude und Israeli.« Was sollte ich sagen? Ich lud ihn zum Essen ein, und er offenbarte sich als Mitglied der kommunistischen Partei Israels, als jemand, der von der Gründung des Staates Israel an alles miterlebt hatte, die – wie er sich ausdrückte – Apartheitspolitik Israels gegenüber den Arabern, die Doppelzüngigkeit der israelischen Verwaltung, das schamlose Ausnutzen der palästinensischen Gutgläubigkeit. »Die Zionisten haben den Terror erfunden«, sagte er mir. Der Mann hatte es jedenfalls in Israel nicht mehr ausgehalten und war nach Frankfurt gezogen.
    In der Regel wurden wir Palästinenser jedoch pauschal als Terroristen bezeichnet, was in Anbetracht der Flugzeugentführungen und Terroranschläge auf europäischem Boden nicht verwunderlich war, und in den 70er-Jahren erforderte eine Podiumsdiskussion mit einem Israeli einiges Stehvermögen. Mit Israelis vom Rang eines Moshe Zuckermann (der 2010 das Buch Antisemit – ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument veröffentlichte) oder Uri Avnery, mit europäischen Juden vom Schlag eines Daniel Cohn-Bendit, Michael Wolffsohn oder Dan Diner hingegen wurden auch kontroverse Gespräche zum Vergnügen.
    Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn, in Israel geboren und mit sieben Jahren nach Deutschland gekommen, pflegte den israelischen Standpunkt zu vertreten, aber in Samt verpackt. Er verteidigte die Politik Israels mit klugen Argumenten,
bemühte sich jedoch gleichzeitig, der palästinensischen Seite entgegenzukommen, indem er in Nebensächlichkeiten nachgab. Den Historiker Dan Diner hingegen, den ich schon als Studenten kennengelernt hatte, wusste ich stets auf meiner Seite – unsere Ansichten waren sich zu ähnlich, als dass sie eine strittige Debatte erlaubt hätten. Mit dem Publizisten und Knesset-Abgeordneten Uri Avnery wiederum kam eine Diskussion leichter in Gang, obwohl wir uns im Grundsätzlichen einig waren. Avnery trat für ein Israel ohne Zionismus ein,

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