Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
selbstverständlichen Umgang mit Juden wie Bruno Kreisky und Nahum Goldmann und verkehrte genauso selbstverständlich mit Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinde Wiens. 1978 rief er mich an und bat mich, ihn zu einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt und Nahum Goldmann zu begleiten.
Wie die meisten seiner Vorschläge kam auch dieser aus heiterem Himmel, aber gereizt hätte es mich durchaus, Nahum Goldmann kennenzulernen. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses gehörte für mich zu den Vernünftigsten und Klügsten, unermüdlich im Dialog mit allen Parteien des Nahen Ostens, stets bemüht, Wege zum Frieden zu erkunden, eine moralische Autorität für alle. Andererseits hatte ich Bedenken grundsätzlicher Art, die Sartawis ungestümen Politikstil und die Prominenz Nahum Goldmanns betrafen. Sagen wir es so: Es gibt Politiker, die, wenn sie von einer Sache überzeugt sind, sich vom inbrünstigen Glauben an ihren Auftrag mitreißen lassen und, ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeiten anderer oder auf die Gesamtlage zu nehmen, auf eigene Faust versuchen, ihr Ziel zu erreichen. Ich hingegen gehöre zu den Menschen, die innerhalb eines festen Rahmens agieren möchten und den Spielraum innerhalb der definierten Grenzen ihrer Gruppe ausschöpfen wollen. Ich brauche diesen quasi familiären Konsens, der ein Mindestmaß an Geborgenheit garantiert. Mit anderen Worten: Mir war ein Treffen mit Nahum Goldmann in dieser Phase zu riskant. Sartawi rief mich an, ich sagte ab, und er lachte mich aus.
An dieser Stelle muss ich eine Begebenheit nachtragen, die unser Familienleben betraf. Dem politischen Hochgefühl dieser Jahre gesellte sich für Benita und mich nämlich ein privates Glück hinzu: Fünf Jahre nach Baschar wurde unsere Tochter Muna am 1. September 1977 in Langen geboren. Jetzt stand sie im Mittelpunkt, und wir taten unser Bestes, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. (Benita erinnerte mich daran, dass sie ihr Bestes tat, Muna zu erziehen, während ich darunter verstand, Muna – nicht anders als Baschar – mit Geschenken zu verwöhnen, sooft ich nach Hause kam. Und sie hatte recht. Ich war so häufig unterwegs, dass die Erziehung unserer Kinder weitgehend in Benitas Händen lag, und ich versuchte tatsächlich, mit Geschenken gutzumachen, was ihnen an väterlicher Aufmerksamkeit entging.)
Wie Baschar wurde auch Muna von der Arbeit ihres Vaters und dem Schicksal der Palästinenser geprägt. Sie war keine fünf Jahre alt, als die furchtbaren Bilder des Libanonkriegs um die Welt gingen; sie war siebzehn, als Arafat zum ersten Mal in unserem Haus zu Gast war. In der Endphase des Libanonkriegs telefonierte ich täglich mit meinem Freund Hayel, mit Arafat und Abu Dschihad. Einmal – ich sprach gerade mit Hayel – ließ sich die vierjährige Muna den Hörer geben und sang Hayel ein Lied auf Arabisch vor, ein Lied, das für uns die Bedeutung einer Nationalhymne hatte. Hayel war so bewegt, dass er anschließend nicht mehr mit mir reden konnte. Wie stark das Drama meines Volkes die Fantasie und das Denken unserer Kinder beherrschte, zeigte sich auch in den Bildern, die sie malten. Vor allem bei Baschar, der als Fünfjähriger das Massaker von Tel Zatar mitbekommen hatte – durch Nachrichten, durch meine Gespräche mit Benita, durch den bedrückten Gesichtsausdruck seines Vaters –, hinterließen solche Erfahrungen tiefe Spuren, sie bestimmten seinen Reifungsprozess und später seine Entscheidungen. Sein Politikstudium schloss er mit einer Magisterarbeit über die
Erste Intifada ab, und sein Entschluss, mitten im Bosnienkrieg (1992–1995) mit einem befreundeten Fotografen das Kriegsgebiet zu bereisen, war Ausdruck seiner Solidarität mit einem unterdrückten Volk.
Ich erwähnte das Massaker von Tel Zatar (Thymianhügel). Damit kommen wir zu den Ereignissen im Nahen Osten zurück, die nun in keiner Weise den Optimismus rechtfertigten, zu dem die Entwicklung in Europa uns Anlass zu geben schien. Im Flüchtlingslager Tel Zatar veranstalteten die libanesischen Falangisten 1976 eines der größten Blutbäder in der Geschichte Palästinas. Sie leiteten damit eine Entwicklung ein, die 1982 während des Libanonkriegs in einen Vernichtungsfeldzug der Israelis gegen die PLO, gegen alle Palästinenser, mündete.
Von den Bewohnern des Gazastreifens abgesehen, waren die Palästinenser immer noch ein Volk auf der Flucht. Zwei große Verteibungswellen hatten Hunderttausende von Bewohnern des Westjordanlands zunächst nach
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