Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Jordanien gespült, nach dem Schwarzen September in Amman hatten dann viele der Überlebenden im Libanon Zuflucht gefunden (man spricht von 200 000 bis 300 000). Das kleine Land war seither mit Flüchtlingslagern durchsetzt, und Beirut hatte sich in die provisorische Hauptstadt eines weiterhin imaginären Palästinas verwandelt. Allerdings – in Jordanien hatten es die Flüchtlinge besser gehabt, denn im Libanon schlugen sich die Befürchtungen der Bürger in Gesetzen nieder, die die Palästinenser von den meisten Berufen ausschlossen und ihnen obendrein verwehrten, feste Häuser zu bauen.
Von der syrischen Armee unterstützt, gingen die Falangisten am 4. Juni 1976 zum Angriff über und belagerten Tel Zatar, ein Lager mit 40 000 Bewohnern. Die Menschen dort ergaben sich allerdings nicht kampflos, sie leisteten Widerstand und konnten die Angriffe tatsächlich zwei Monate lang abwehren, wobei sie von palästinensischen Studenten aus
Deutschland unterstützt wurden. Dann trat ein Waffenstillstand in Kraft, dem die Fedajin Folge leisteten, indem sie am 11. August ihre Waffen niederlegten: Das Abkommen sah die Evakuierung der Kämpfer und Zivilisten durch das Rote Kreuz vor. Einen Tag später drangen bewaffnete Falangisten in das Lager ein und ermordeten zweitausend Menschen. Das Lager selbst wurde dem Erdboden gleichgemacht – Bulldozer reichten dafür aus, die einfachen Behausungen waren leicht zum Einsturz zu bringen.
Es war einer der schwärzesten Tage meines Lebens. Ich, Benita, selbst meine Kinder waren einiges an Grauen gewöhnt, doch das Leiden der Menschen in Tel Zatar aus der Ferne mitzuerleben, ging fast über unsere Kräfte. Ich setzte mich an diesem Abend hin und tat, was ich immer tat, wenn ich das seelische Gleichgewicht verloren hatte – ich malte. Das Ergebnis meines Versuchs, der Verzweiflung Herr zu werden, waren drei Aquarelle, die mich seither begleiten, die jeden Umzug mitgemacht haben und heute noch in unserem Wohnzimmer hängen. Auf allen drei Bildern sieht man rote Wolkenmassen, einen Himmel, der aus zahlreichen Wunden zu bluten scheint. (Viele der Überlebenden gingen übrigens nach Deutschland, beantragten Asyl und erhielten es. Heute bilden sie und die Überlebenden anderer Massaker in Berlin eine große palästinensische Gemeinde und sind, alles in allem, ein Beispiel für gelungene Integration.)
Was die Sache für uns wirklich bedrohlich machte: Erstmals hatte die syrische Armee aufseiten der Falangisten in die Kämpfe eingegriffen. Das ist nicht ohne Weiteres zu verstehen. Die Erklärung liegt im historisch begründeten Selbstbewusstsein der syrischen Elite. Syrien, das traditionelle Machtzentrum dieser Region, hatte 1941 nämlich die Abtrennung des Libanons durch die Mandatsmacht Frankreich hinnehmen müssen und nach 1948 auch seine Einflusssphäre Palästina eingebüßt, und mit beidem hatte sich Damaskus nicht
abfinden können. Nach wie vor erhob die syrische Führung Anspruch auf den Libanon, nach wie vor war in diesen Kreisen die Vorstellung lebendig, Palästina sei der südliche Ausläufer Syriens. (Arafat hatte auf eine entsprechende Äußerung des syrischen Präsidenten Assad hin einmal gekontert, Syrien sei in Wahrheit der nördliche Teil Palästinas.) Jedenfalls handelte es sich diesmal um einen Kampf um die Vorherrschaft im Libanon, in dem christliche Libanesen und muslimische Syrer zusammenarbeiteten.
Damit bahnte sich für uns Palästinenser eine Entwicklung an, die uns auf Jahre hinaus die erbitterte Feindschaft der Syrer eintragen sollte. Eine Entwicklung, die uns aber auch deshalb in eine zunehmend prekäre Lage brachte, weil sich die arabischen Staaten insgesamt in ihrer Politik kaum noch von Rücksichten auf die Palästinenser leiten ließen. Untereinander so zerstritten wie noch nie, brachten sie nur noch selten den Willen und die Kraft zur Unterstützung der PLO auf, und zum ersten Mal seit 1948 gerieten die Palästinenser in eine Situation, in der sie völlig auf sich allein gestellt gewesen wären, hätten Arafats diplomatische Bemühungen in Europa und Asien nicht rechtzeitig Früchte getragen. Genau diese Situation hatte Arafat schon in den 50er-Jahren vorausgesehen und den palästinensischen Widerstand nur dann für aussichtsreich gehalten, wenn er einen Rückhalt in Ländern außerhalb der arabischen Welt fände.
Wie vergiftet das Verhältnis zwischen Syrern und Palästinensern war, erlebte ich selbst, als die syrische Regierung kurz nach dem Massaker
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