Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
ihn an die Garibaldi, ihr Unstetsein, immer auf dem Sprung, die Sensation für die nächste Spielzeit fest im Blick. So wie die Garibaldi einkaufte, so lag Raimondis Interesse im Verkauf. Wortfetzen und seine Gestik verrieten ihm, dass er Sponsoren für den
Don Giovanni
warb. Es schien, dass er damit keine großen Schwierigkeiten hatte. Die Gespräche verliefen kurz und freundschaftlich, so, als ob er mit seinen Geschäftspartnern bereits gearbeitet hatte und sie gute Erfahrungen mit ihm gemacht hätten.
Auf der anderen Straßenseite fuhr der Bus an der Haltestelle Theater ab. Zurück ließ er mehrere verwaiste Sitzbänke. Aus einem der Fenster klang der Ton einer Posaune herüber. Jemand probte an seinem Part. Kilian erkannte Franziska Bartholomä, die Souffleuse. Sie kam auf einem mittelalterlichen Fahrrad daher, stellte es an einem der zahlreichen Fahrradständer ab, sicherte es mit einer Kette und ließ sich auf einer der Bänke nieder. Sie blickte herüber, erkannte Kilian und lächelte. Er erwiderte die Geste. Sie war ein seltsames Wesen, zumindest machte sie auf ihn den Eindruck einer entrückten, vielleicht eigenwilligen Person ihrer Altersgruppe. Ende zwanzig, grazil, unauffällig gekleidet, in einem engen, knielangen Cordkleid und Sportschuhen, wäre da nicht ihr schreiend roter Pumucklschopf gewesen. Er stach nicht nur aus der Masse heraus, sondern gab ihr eine merkwürdige Eigensinnigkeit, nicht schrullig, eher unangepasst, freigeistig. So war sie bei den Probenarbeiten lediglich an ihrer Haarpracht zu bemerken, ansonsten war sie unauffällig, nahezu nicht vorhanden.
Wie er in der kurzen Zeit der Proben gelernt hatte, war das genau ihre Arbeit. Unsichtbar, geradezu nicht existent zu sein, solange alles gut ging. Hatte einer der Solisten einen Hänger, war sie auf den Punkt präsent, half aus, sorgte dafür, dass die Show weitergehen konnte, verborgen wie ein Herzschrittmacher unter der Haut der Bühne.
Sie stellte einen abgewetzten ledernen Schulranzen, wie Kilian ihn noch zu seiner Schulzeit hatte schleppen müssen, neben sich, öffnete ihn, förderte Papier, Bleistift und eine Thermosflasche zutage. Sie überflog das bisher Geschriebene, während ihre rechte Hand im Takt folgte. Dann sinnierte sie so lange, bis sie den Anschluss gefunden hatte, und übertrug das Neue auf Papier. Sie bot damit ein eigenartiges Bild der Entrücktheit. Um sie herum stoppten und fuhren unentwegt Autos und Busse an, auf den Gehsteigen herrschte reger Passantenverkehr, Handys klingelten, Geplapper folgte – alles in allem die normale Betriebsamkeit einer Stadt an einem sonnigen Mittag. Sie jedoch ruhte in sich, versunken, entschwunden in die Welten ihrer Phantasie, den Kopf voller Worte und Klänge, die Hand als tanzender Geigerzähler ihrer Empfindungen, sachte und erregt zugleich.
In das Blickfeld zwischen Franziska und Kilian drängte sich ein Auto auf den letzten freien Parkplatz. Heinlein stieg aus, erkannte ihn und setzte sich zu ihm. Sein Gesichtsausdruck verriet gute Neuigkeiten.
»Das kam gerade herein.« Er legte ein Fax auf den Tisch. »Das BKA hat das Profil des Geschosses gespeichert, mit dem sich Sandner in die ewigen Jagdgründe geballert hat«, sagte er zufrieden. »Die Waffe und das dazugehörige Projektil sind erstmals vor zwei Jahren bei einer Schießerei in Hammelburg aufgetaucht. Zuvor war sie den Kollegen in Grafenwöhr als vermisst gemeldet worden. Sie war einem Captain der amerikanischen Streitkräfte abhanden gekommen. Sie gehörte zu seiner kleinen privaten Waffensammlung, die diese Rambos offensichtlich alle haben.«
»Hammelburg«, fragte Kilian nach, »da ist doch auch ein Truppenübungsplatz der Amis, oder zumindest sind da Einheiten stationiert?«
»Richtig, aber das ist noch nicht alles. Handelte es sich bei der Hammelburger Schießerei wahrscheinlich um Drogengeschäfte, so ist mit derselben Waffe vor rund einem Jahr ein Russe in der Nähe von Kitzingen, keine zwanzig Kilometer von hier auf einem Parkplatz, getötet worden. Wie mir die Kollegen vor Ort berichten, muss es sich dort nicht um Drogen-, sondern um Waffengeschäfte gehandelt haben.«
»Das klärt noch nicht, wie Sandner an die Waffe kam.«
»Es ist ein erster Schritt, um Licht in die Angelegenheit zu bringen.«
»Was schlägst du als nächsten Schritt vor?«
»Wie besprochen. Schau zu, dass Raimondi bis zur Premiere am Leben bleibt. Parallel dazu bringst du Klarheit in diesen Anschlag. Die Medien machen Druck, und den
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