Der Gesang des Wasserfalls
ist nur klein und wirkt eher gedrungen. Was meinst du, wie alt die hier ist?«
»Uralt. Ich habe keine Ahnung. Aber du siehst süß aus.« Connor drückte auf den Auslöser.
Nach zwanzig Minuten hatten sie den höchsten Punkt der Fälle erreicht. Hier glitt der breite Potaro an kleinen, vorstehenden Felsen und Grasbüscheln vorbei auf die plötzlich abfallende Felswand zu, über deren scharfkantigen Rand das Wasser hinabrauschte. Das goldene Wasser strömte in weißen, schaumigen Wellen über den Steilrand und stürzte zweihundertsechzig Meter in die Tiefe.
»Behaltet mal einen bestimmten Teil des Wassers im Auge, beobachtet, wie es über den Rand fließt und versucht, es bis nach unten zu verfolgen, dann bekommt ihr einen Eindruck von der gewaltigen Kraft und der Geschwindigkeit der Fälle«, sagte John.
Sprühnebel stieg aus der Schlucht auf und machte es unmöglich, bis ganz nach unten zu sehen. Das schäumende Wasser fiel mit solcher Wucht in die Tiefe, dass sein Aufprall am Fuße der Felswand im sprühenden Wassernebel gar nicht zu sehen war. Sie standen auf der linken Seite der Fälle, und die Männer legten sich einer nach dem anderen auf den Bauch, ließen den Kopf über den Rand baumeln und schauten nach unten in die Schlucht.
Sharee schüttelte den Kopf. »Das mache ich nicht. Was ist mir dir, Madi?«
Madi konnte den Blick immer noch nicht von dem gewaltigen wogenden Wasservorhang wenden. Und plötzlich erschien ein Regenbogen, spannte sich aus dem Sprühnebel hinauf bis zum Fluss. Gleichzeitig stieg ein Schwarm kleiner schwarzer Mauersegler auf, diese schmalflügeligen Vögel, die hinter den Wasserfällen nisten, schossen hinaus, wurden vom Aufwind erfasst und segelten und schwebten in Formation, bevor sie über den Regenbogen hinwegglitten und im Wald verschwanden.
Madi traten bei diesem phantastischen Anblick die Tränen in die Augen.
»Ehrfurcht gebietend, nicht wahr?«, murmelte Connor neben ihr. Sie drückte seine Hand. »Komm und schau über den Rand, das ist wirklich einmalig.«
Sie legte sich bäuchlings auf den Felsen, und Connor hielt sie an den Fußknöcheln fest, aber das unglaubliche Gefälle, das Brüllen des Wassers, die Gischt auf ihrem Gesicht waren zu überwältigend, und sie stand wieder auf.
»Da drüben ist ein kleiner Vorsprung, auf dem man stehen kann, direkt am Rand. Von dort kann man gut fotografieren«, sagte Ann.
»Mich erstaunt«, bemerkte Connor, »dass es hier nichts Touristisches gibt – wie Geländer, Warnschilder, Absperrungen. Es ist alles völlig naturbelassen, wild, so, wie es immer war.«
Sie planschten in kleinen Tümpeln am Rand des Potaro herum, warfen Stöcke und sahen zu, wie sie über den Rand des Wasserfalls verschwanden. Sie machten Fotos oder saßen nur da und schauten. Ständig veränderte sich das Bild. »Wenn niemand an der Natur herumpfuscht, ist sie einfach perfekt. Kein menschliches Wesen hätte etwas von solcher Schönheit erschaffen können«, sagte Madi nachdenklich.
Es war kurz vor Mittag, und John meinte plötzlich: »Wisst ihr, woran mich das erinnert?« Sie sahen ihn alle an, während er die Fälle betrachtete.
»An Bier! Sieht aus wie die größte Bierfontäne der Welt.«
»John! Du bist unmöglich«, schimpfte Ann.
»Ein kaltes Bier wäre jetzt gerade recht«, seufzte Connor.
»Bis zum Dorf der Pork-Knockers ist es nur eine Stunde«, sagte John, ein Blitzen in den Augen.
Die Männer sprangen auf, griffen nach ihren Rucksäcken und schnürten sich die Schuhe zu. »Der Rückweg wird dadurch zwar ein bisschen länger, aber das ist es wert, würde ich meinen«, sagte John.
»Und denkt nur an den eisgekühlten Rumpunsch, der in dem alten Kühlschrank im Haus der Bells steht.«
»Ach, du lieber Himmel, das Kerosin! Damit ist es entschieden, wir müssen zum Dorf.«
Sie riefen nach dem Bootsjungen, der im Schatten saß und das Obst aß, das Ann ihm gegeben hatte. »Wo ist der Kerosinkanister?«
Der Junge zeigte hinter sich.
»Okay, dann gehen wir los.«
Madi zögerte. »Kommen wir auf diesem Weg zurück?«
»Nein, es gibt eine Abkürzung vom Dorf aus, die auf den Pfad trifft, den wir heraufgekommen sind«, erwiderte Ann. »Warum?«, fragte sie, als sie den Ausdruck auf Madis Gesicht sah.
»Na ja, nach dem, was Pieter mir erzählt hat, dachte ich, ich würde gern hier oben bleiben und Sonnenuntergang und Sonnenaufgang beobachten.«
»Ganz alleine?«, fragte Sharee.
»Warum hast du nichts davon gesagt? Das hätte sich doch
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