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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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ihr hoch. »Wie fühlen Sie sich?«
    Sie machte ein paar vorsichtige Schritte und rieb sich das Bein. »Gut. Ich fühle mich gut. Werden noch irgendwelche Nachwirkungen eintreten?«
    »Nein. Das kleine Biest hat Sie nur angekratzt.«
    »Aber wo ist der Piaimann, ich muss ihm danken, ihm etwas bezahlen.«
    »Is schon erledigt. Hab ich gemacht. Kommen Sie, schaun Sie sich das Dorf an. Wir bleiben heute Nacht hier. Da passiert was Wichtiges.«
    Während sie sich in dem ruhigen Dorf umschaute, wo die Männer herumsaßen oder in Hängematten schliefen, die Kinder spielten und die Frauen still mit Flechtarbeiten oder an den Feuerstellen beschäftig waren, konnte Madi sich nicht vorstellen, dass irgendetwas über die alltäglichen Verrichtungen hinaus hier vorgehen sollte, aber sie war erfreut über den Vorschlag, sich das Indiodorf anzusehen.
    »Und worum geht es bei diesem wichtigen Ereignis?«
    »Xavier Rodrigues kommt, um im Dorf zu sprechen. Er reist durchs ganze Land und erklärt den Leuten, um was es geht. Er bringt sie dazu, ihn zu unterstützen, damit er für sie in der Stadt sprechen kann.«
    »In Georgetown? Sie meinen, es ist so was wie eine politische Kundgebung? Hier draußen?«, fragte sie mit gewissem Erstaunen.
    »Ja. Aber nich wie's unter Burnham war, wo's immer nur Reden und Reden gab und all den Quatsch – Schulkinder, die wo ihm zujubeln mussten und tanzen und so. Das hier is für die Indios, damit sie sich alle zusammen für was Besseres einsetzen.«
    »Sie meinen, Regierungsunterstützung, bessere Lebensbedingungen und so weiter?«
    »Die wolln keine Almosen von der Regierung, die wolln selbst für sich sorgen. Xavier sagt ihnen, sie müssen Macht bekommen und selbst entscheiden, was sie machen.«
    »Und wissen sie, was sie wollen?«
    Lester zuckte die Schultern. »Dazu kann ich nix sagen. Aber sie schaun auf zu Xavier, er is ihr Führer und kann gut verhandeln mit den Küstenleuten und den Männern, wo die Macht ham.«
    »Wie hat Xavier es geschafft, der Führer all der verschiedenen Stämme im ganzen Land zu werden?«
    Lester dachte einen Moment lang darüber nach. »Das weiß ich nich. Nehme an, weil er geredet und geredet hat und überall hinfährt und ihnen sagt, was sie hörn wolln. Sie glauben, die Zeit is gekommen. Jetzt wolln wir mal das schlimme Bein bewegen und im Dorf rumgehn.«
    Sie blieben dort stehen, wo die Frauen kochten und flache, runde Kassavebrote formten. Die Frauen zeigten Madi, wie sie gemacht wurden. Zuerst wurde die yamsähnliche Maniokwurzel auf einem Nagelbrett zerrieben. Dann füllten sie die Masse in einen langen, zylindrischen, schlauchartigen Korb, den so genannten
matapee
-Pressstrumpf, der von einem Kind, das auf einem Balken darunter saß, gedehnt und ausgedrückt wurde. Eine der Frauen erklärte in stockendem Englisch, dass der Saft der Kassavefrucht giftig sei, aber gekocht zu einem ungefährlichen Gewürz wurde, das man für Pfeffertopf brauchte – für Kassareep.
    »Wir machen auch Getränk aus Kassave …
cassiri
und
paiwarri
. Männer trinken das und …« Sie rollte mit den Augen und torkelte ein wenig, als sie das Wort nicht finden konnte.
    »Werden betrunken«, sagte Madi lachend. »Ich hoffe, dass sie die Getränke und das Gift immer auseinander halten können.«
    An einem breiten, flachen Tümpel in einem nahe gelegenen Flüsschen setzten sich Lester und Madi schweigend hin und beobachteten einen Mann und seinen jungen Sohn, die, beide mit Pfeil und Bogen bewaffnet, aufmerksam ins Wasser starrten. Nachdem sie sich etwas zugeflüstert hatten, deutete der Vater auf eine Stelle, wo sich sein Sohn hinstellen sollte, und der Junge hob seinen Bogen hoch und watete vorsichtig hinein, bis er knietief im Wasser stand. Der Bogen war fast so groß wie der Junge, und es kostete ihn einige Anstrengung, den Bogen zu spannen. Bewegungslos stand er ein paar Minuten da, hielt den Pfeil abschussbereit und beobachtete einen Fisch, der sich langsam in Schussweite bewegte. Sein Vater ging ein Stück flussauf und legte eine Reuse aus, einen schmalen Korb mit einem kleinen Stück Fleisch als Köder. Er kam zurück und hockte sich neben Madi und Lester.
    »Gift is nich mehr erlaubt«, sagte er. »Paar Pork-Knockers nehmen Barbasco und Hairisaft.« Er grinste Lester an, der abwehrend die Hände hob. »Ich nich.«
    »Was ist das?«, fragte Madi.
    Lester erklärte, es sei ein Gift, das die Indios aus den Wurzeln bestimmter Pflanzen gewannen und das dort, wo man die Fische

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