Der Gesang des Wasserfalls
gesetzt und machte sich daran, das Papier über den Aufbau und die Vermarktung des Ökotourismus in Guyana auszuarbeiten, das sie Xavier versprochen hatte.
Shanti, die Haushälterin, war begeistert, die drei hier im
Wanika House
zu haben. Die mollige und fröhliche Frau war für sie alle eine Freude und strahlte ein Gefühl der Weisheit und Erdverbundenheit aus. Madi erinnerte sich an Matthews Brief und seine Schilderung, wie Shanti ihn zu dem Obeah-Mann gebracht hatte, als er kurz nach seiner Ankunft in Guyana von der Fledermaus gebissen worden war.
Während die Männer in der Bauxitmine waren, wurden Madi, die auf der oberen Veranda an ihren Notizen arbeitete, Kaffee und Kekse serviert. Shanti fragte Madi, was sie da schrieb, und Madi erzählte ihr von ihrer Idee, kleine Ferieneinrichtungen zu schaffen, wo die Gäste das ›wirkliche Guyana‹ erleben könnten.
»Nich alles vom wirklichen Guyana is so schön wie Kaieteur und Rupununi, Miss Madi. Gibt auch Hässliches und Grauenhaftes.«
»Aber das ist in den Städten und Slums. Und damit steht Guyana nicht allein da. Selbst in reichen Ländern wie Amerika und Australien gibt es arme Menschen. Beschämend, aber so ist es leider.«
»Wissen Sie, wovon das kommt? Von den habgierigen Leuten. Die Regierung sagt, wir lassen die Ausländer rein, um nach Gold und Erzen zu graben und Guyana reich zu machen. Aber ich seh nich, dass der Reichtum durch meine Haustür kommt.« Shanti lächelte breit. »Aber Sie sind in meinem Haus willkommen. Tun Sie mich mal besuchen. Meine Familie wohnt gleich da drüben.« Sie zeigte durch die Kokospalmen.
»Das Netteste an Guyana sind die Menschen. So warmherzig, so gastfreundlich … so was ist sehr anziehend für Besucher«, sagte Madi und lächelte die dunkelhäutige, mütterliche Frau an.
»Das Problem is nur, wir glauben nich, dass wir dieselbe Kultur oder Vergangenheit ham. Wir Inder sind als Arbeiter gekommen, wie die afrikanischen Sklaven, und sogar die Indios ham sich damals bekämpft. Dann ham uns all die verschiedenen Leute aus Europa regiert. Es is, wie wenn wir uns nich entscheiden könnten, wer wir sind, außer einfach nur Guayaner.«
»Das ist ein sehr guter Anfang, Shanti, sich einfach als Guyaner zu verstehen.«
»Aber wir ham noch die alten Kräfte, wenn man weiß, wo man hingehn muss. Manchmal tun die alten Kräfte noch wirken.« Von unten ertönte der Ruf der Köchin, und Shanti drehte sich um.
Mit klappernden Absätzen lief sie die Treppe hinunter, und Madi wusste nicht recht, wie sie diese letzte Bemerkung deuten sollte. Sie wandte sich wieder ihren Notizen zu und schrieb weiter.
Am Nachmittag machte Madi einen Spaziergang entlang eines Kanals, dessen Ufer von Kokospalmen bestanden waren. Kokosnüsse und Schalen waren unter den Bäumen mit ihren fedrigen Palmwedeln aufgehäuft. Eine Ziege mit dickem rosa Euter scharrte zwischen den Kokosschalen.
Während Madi sie beobachtete, überkam sie eine unheimliche Vorahnung. Plötzlich wirkte das schattige Wäldchen beängstigend, und sie hatte das überwältigende Gefühl, in Gefahr zu sein. Panik machte sich in ihr breit. Sie rannte zwischen den Bäumen hindurch, über den Rasen und durch die Hintertür in die Küche des
Wanika House
, wo Shanti am Tisch saß.
Shanti warf einen Blick auf Madis aschfahles Gesicht. »Was is los?«
»Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass jemand … hinter mir her war«, schloss sie lahm. Es klang so unwahrscheinlich, weil sie ja niemanden gesehen hatte.
Shanti führte Madi in das leere Speisezimmer und ließ sie Platz nehmen. »Was ham Sie für Ärger, Mädchen?«
»O Shanti, ich habe solche Angst. Mir sind in den letzten Wochen so schreckliche Dinge passiert. Ich glaube, jemand will mir was antun … mich umbringen. Ich weiß etwas, das ich nicht wissen sollte … darum bin ich hier, um mich zu verstecken. Aber ich glaube, sie wissen, dass ich hier bin. Das bedeutet, dass auch Connor in Gefahr ist … und Matthew.«
»Ihrem Bruder passiert nix. Er is beschützt. Der Obeah-Mann hat das gemacht. Jetzt tun Sie mir mal die Geschichte erzählen, Miss Madison.«
In knappen, kurzen Sätzen und ohne Namen zu nennen, erklärte Madi, warum sie glaubte, dass jemand es auf sie abgesehen hatte.
Shanti verschränkte die Arme. »Das is 'ne böse Geschichte. Die wolln Ihnen wirklich was antun, eh?«
»Es sieht so aus. Matthews Boss will dafür sorgen, dass von offizieller Seite Nachforschungen angestellt werden.«
Shanti
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