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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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schnaubte. »Das tut nix nützen. Die sind viel zu langsam. Während die denken und Papier verschwenden, sind Sie in Gefahr.«
    Madi nickte und sah Shanti mit angstgeweiteten Augen an. »Was soll ich denn nur machen?«
    Shanti antwortete langsam: »Ich hab Ihnen gesagt, dass die alte Art manchmal die beste is. Wolln Sie die alte Art ausprobieren? Hat bei Ihrem Bruder gewirkt. Wir können den Mann aufhalten, der wo Sie verfolgt.«
    »Sie können … wie?« fragte Madi zweifelnd.
    »Kommen Sie zu meinem Haus. Wir müssen es bald machen, bevor er verschwinden tut.«
    »Sie meinen, es ist tatsächlich jemand hier?« Madis Ängste kehrten zurück.
    »Ich vertraue immer auf'n Instinkt. Wenn solche Gefühle Sie überkommen, dann tun sie Ihnen sagen, pass auf, Mädchen.« Shanti stand auf und tätschelte Madis Schulter. »Warten Sie, bis ich hier fertig bin und dem Zaubermann 'ne Botschaft geschickt hab. Wir sagen dem Hausboy, er soll Ihrem Bruder und Connor sagen, dass wir später zurückkommen.«
     
    Madi saß im Vorderzimmer von Shantis kleinem Haus. Der Garten war verwildert, aber auf der Veranda stand eine Reihe blühender, sorgsam gepflegter Topfpflanzen. Spitzendeckchen lagen unter geschliffenen Glasvasen mit Plastikblumen, kleine Figürchen, eine Holzuhr, eine Puppe in einem glitzernden Kleid standen auf den Möbeln. Gerahmte Fotografien und aus Zeitschriften ausgeschnittene Bilder waren an die Wände gepinnt, buntfarbige Häkelkissen auf ein Sofa drapiert.
    Im Nebenzimmer saß eine alte, nussbraune Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Schoß. Madi hatte man mit einem Glas warmer Orangenlimonade ins beste Zimmer gesetzt. Sie winkte dem kleinen Mädchen zu, und das Kind kicherte und versteckte den Kopf am Busen der Großmutter.
    Shanti kam zurück, sie hatte sich ein einfaches Kleid angezogen und einen Strohhut aufgesetzt. »Komm, wir gehn jetzt.«
    »Shanti, ich weiß nicht so recht. Wird das funktionieren?«, fragte Madi besorgt.
    »Sie glauben dran, dann funktioniert es auch«, sagte sie nur. »Sie sagen, Sie ham Vertrauen in die Bräuche von den Indios, das is der alte karibische Brauch der Schamanen. Ich hab ihm gesagt, dass wir kommen, und er is bereit.«
    »Wer ist dieser Zaubermann?«
    Madi folgte Shanti aus dem Haus. Shanti erklärte: »Der Schamane is wie 'n Doktor, 'n Priester und 'n Zauberer in einem. Er tut den Körper mit Kräutern heilen und mit den Geistern reden, dass sie ihm sagen, was er tun muss. Er muss lange lernen, muss die Traditionen und die Zeremonien kennen. Und er muss die Gabe dafür ham. Is 'n großer Mann im Dorf. Sehr wichtig. Nur der Schamane kann den Kanaima fortschicken – den bösen Geistermann.«
     
    Shanti lieh Madi ein Fahrrad, und sie radelten über die holprige Sandstraße, die sich durch die kleine Siedlung schlängelte. Madi war seit Jahren nicht mehr Fahrrad gefahren, und das rostige Ding war nicht gerade ein schnittiges Sportrad. Sie fuhr in Schlenkern um Hunde, Hühner, Kricket spielende Kinder, Dreckhaufen und weggeworfene Büchsen und Flaschen herum. Hinter ihnen lag die Mine, das ständige Dröhnen der Förderbänder, die die schwere, sandige Erde auf die Laster beförderten, verklang in der Ferne, und bald radelten sie auf einem ruhigen Pfad unter Bäumen.
    Die Abenddämmerung hatte noch nicht eingesetzt, aber es sah nach Regen aus, drohende schwarze Wolken türmten sich bedrohlich über den letzten blassgoldenen Lichtstreifen. Unter den Bäumen war es noch düsterer, Vögel stießen Warnschreie aus, und der einzige Mensch, dem sie begegneten, war eine gebeugte alte Frau, die einen riesigen Haufen von Zweigen und Ästen an einem Stirnband auf dem Rücken trug.
    Sie kamen zu einer kleinen Hütte, die anscheinend aus übriggebliebenen Brettern, Türen und Fenstern verfallener Häuser gebaut worden war. Shanti hielt mit einer gekonnten Kurve an und ließ ihr Fahrrad zu Boden gleiten. Madi stieg ab, lehnte ihr Rad gegen einen Baum und folgte Shanti nervös um das Haus herum in den Hof, wo ein offenes Feuer Rauchwolken in den dunkler werdenden Himmel schickte.
    Obwohl sie nur wenige Meter von der Straße entfernt waren, die zum Dorf führte, wirkten die Hütte und ihre Umgebung völlig abgelegen. Als sie auf das Feuer zugingen, zuckte Madi zusammen und klammerte sich an Shanti. Im Feuerschein war eine sonderbare Gestalt aufgetaucht. Es war ein Baum, aber in die Falten und Furchen seines Stammes war das Gesicht eines Mannes eingeschnitzt, das zu einer grotesken

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