Der Gesang des Wasserfalls
Laute Calypsomusik schallte aus den Häusern, und viele Leute schlenderten umher oder standen in Grüppchen redend am Straßenrand. Das Schild mit dem aufgemalten Kamel, zwischen dessen Höckern rittlings eine spärlich bekleidete, wollüstige schwarze Frau saß, war nicht zu übersehen. Ein bulliger Afrikaner, behängt mit jeder Menge Goldschmuck, lehnte lässig an der schmalen Eingangstür. Matthew starrte mit einiger Besorgnis auf das Haus.
»Das isses, Boss«, sagte Benji. Und als Matthew keine Anstalten machte auszusteigen, fügte er hinzu: »Soll ich ihn fragen?«
»Ich komme mit.« Matthew stieg aus dem Wagen.
»Wen suchen wir denn, Boss?«
»Joe … glaube ich.«
»He, Mann. Bist du Joe?«, fragte Benji.
Der kräftige Goldmann ließ die Muskeln spielen. »Ja. Wer geht rauf?«
Matthew sah an ihm vorbei zu der wackeligen Treppe, die über der lärmenden Rumkneipe nach oben führte.
»Rauf?«, fragte er.
»Ja. Zu Candy. Sie wartet schon auf dich.« Er grinste und verbeugte sich spöttisch. »Lass den weißen Mann vorbei, Bruder«, rief er einer unsichtbaren Gestalt im Schatten zu.
Matthew stieg die Treppe hinauf und kam in einen dunklen Flur, von dem mehrere geschlossene Türen abgingen, eine jedoch war halb offen, und ein rotes Licht glühte dahinter. »Candy?«, rief er.
»Hier rein, mein Hübscher … ich hoffe, du bist hübsch!« Die Frau stieß ein heiseres Lachen aus.
Matthew trat durch die Tür und dachte einen Augenblick lang, er wäre in die Kulissen eines schlechten Films geraten. Aber dafür war es zu kitschig. Roter Samt, der über einen Sessel und ein Bett geworfen war, Kissen mit Goldtroddeln, ein roter, fransenbesetzter Lampenschirm, dessen Glühbirne mit rotem Zellophanpapier abgedeckt war, das Bett und seine Besitzerin im Schein eines schwächlichen rosafarbenen Lichts. Sie saß mitten auf dem Bett, eine Hand auf die Fettwülste an ihrer Hüfte gestemmt, ein dickes Bein angezogen, das andere ausgestreckt, angetan mit roten Netzstrümpfen, die voller Löcher waren, und Strapsen, die sich in die fetten, durch einen kurzen Satinrock nur knapp bedeckten Oberschenkel drückten. Über der Brust wallende schwarze Spitze. Eingeöltes Haar, greller Lippenstift, glitzernder, billiger Schmuck und ein Lächeln, das verriet, wie sehr sie jede einzelne Minute dieser ganzen Vorstellung genoss.
»Sie sind Candy?«
»Candy Deee … light.« Wieder lachte sie. »Du willst was von mir, hab ich recht, Mister?«
»Ich denke schon«, grinste Matthew. »Wer ist als nächster am Zug?«
»Schätzchen, ich zieh nirgendwo hin, das ist mal sicher. Komm näher …«
Er zögerte. Candy lehnte sich provozierend vor und ließ ihn einen zusammengefalteten Zettel sehen, der zwischen ihren gewaltigen Brüsten klemmte. »Komm und hol ihn dir, mein Junge.«
Matthew griff zu, konnte aber den Zettel nicht herausholen, ohne seine Hände zwischen das heiße, schlüpfrige Fleisch zu schieben. »Mehr kriegst du heute Nacht nicht, Süßer«, lachte sie.
Matthew schaute auf den Zettel und stellte erleichtert fest, dass darauf eine Adresse angegeben war. Keine weitere Sucherei. Er bekam allmählich Hunger. »Die Nacht ist noch jung, Candy.«
»Dann sehn wir uns vielleicht später. Bring dein Geld mit!« Sie lachte erneut, und ihre Fettrollen wackelten. »Mann, das ist die schnellste und leichteste Nummer, die ich je geschoben habe.«
Matthew floh und fragte sich, ob er ihr hätte Trinkgeld geben sollen, erinnerte sich dann aber, dass er kein guyanisches Geld dabeihatte.
Sharee hörte mit großen Augen zu, als er ihr sein Erlebnis schilderte. »Und was ist, wenn eine von den Frauen da raufgeht?«
»Candy wird sie nicht beißen … außer, sie wird dafür bezahlt, nehme ich an.« Er stieß einen von Candys Lachern aus und reichte Benji die Adresse.
Die Dinnerparty, diesmal in dem großen, geräumigen Haus des Finanzdirektors von Guyminco, war schon in vollem Gange. Mehr als die Hälfte der Gäste hatte bisher den Zielort gefunden, und alle erzählten von ihren Erlebnissen und Umwegen auf der Fahrt hierher. Die Band war ebenfalls hierher umgezogen, genau wie Roxy, die das im erleuchteten Garten aufgebaute Buffet überwachte. Es gab eine Tanzfläche und eine von den feiernden Gästen umlagerte Cocktailbar. Lennie Krupuk, der in seinem, buntgemusterten Calypsohemd so gar nicht wie ein Generalmanager aussah, kam auf sie zu. »Sie haben es also gefunden … und sich nicht von Candy ablenken lassen, na?«
»Nein, das
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