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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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übernahmen den Handel. Doch obwohl sie Europäer waren, sprachen sie anders und hatten andere kulturelle Neigungen als die Briten, also wurden sie nicht als Weiße angesehen.«
    »Einwanderer haben immer den Wunsch, sich ihre nationale Identität zu bewahren und ihre familiären und kulturellen Wurzeln nicht zu verlieren«, sagte Connor. »Leider kann das aber auch zur Entfremdung führen.«
    »Um uns in Britisch Guiana durchzusetzen, mussten wir uns der englischen Lebensart anpassen und ihre Sprache übernehmen. Heute sind die Indios die einzigen, die an ihren Traditionen festhalten. Und das nur aufgrund ihrer Isolation.«
    »Findet da jetzt eine Veränderung statt?«, fragte Madi.
    »Sie werden gezwungen, sich in die Gesellschaft einzugliedern. In einigen Dörfern haben sie Autos und kaufen moderne Nahrungsmittel. Die Regierungsprogramme sind gut gemeint, aber sie tragen dazu bei, die traditionelle Lebensweise der Indios zu untergraben. Doch die Indios werden allmählich aktiver, wollen am Wohlstand des Landes beteiligt werden. In manchen Kreisen betrachtet man sie daher jetzt als Unruhestifter.«
    Die Australier tauschten Blicke aus. Das kam ihnen nur allzu bekannt vor.
    »Rassentrennung ist etwas so Diskriminierendes«, sagte Madi. »Warum kann nicht alle Welt akzeptieren, dass es nur eine einzige Rasse gibt – die menschliche Rasse?«
    Olivera verdrehte die Augen. »Oje, da haben wir ja eine Träumerin unter uns.« Er lächelte Madi fast verzeihend an. »Erzählen Sie das mal den Menschen in Ländern mit gemischtrassiger Bevölkerung. Jeder glaubt, dass seine Rasse die überlegene ist.«
    Matthew beschloss, das Thema zu wechseln. »Und wie passt sich das Land der neuen demokratischen Regierungsform an?«
    »Ein bisschen stockend, wie das in einem Land der Dritten Welt, das gerade aus einem langen Schlummer erwacht, zu erwarten war. Die Regierung bemüht sich. Aber unter meinen alten Freunden in der Regierung heißt Gleichheit nicht, dass wir alle gleich sind. Und wenn es dann um die freie Marktwirtschaft geht, kann man den sich bietenden Gelegenheiten manchmal nur schwer widerstehen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    »Mit anderen Worten, die Korruption grassiert, die Reichen werden reicher, und die Armen bekommen nur den holzigen Teil der Ananas.«
    »Hübsch gesagt, junge Dame. Hätte es selbst nicht besser ausdrücken können. Holziger Teil der Ananas, eh? Ist das ein typisch australischer Ausdruck?«
    Madi war der Wind aus den Segeln genommen. »Ja, ich glaube schon … wenn auch in gehobener Gesellschaft nicht gerade gebräuchlich.«
    »Das muss ich mir merken. Kann ich bestimmt irgendwann verwenden.«
    »Die Wirtschaft scheint mir aber immer noch nicht so ganz stabil, die Zeiten sind schwer für die Durchschnittsfamilien«, sagte Kevin. »Warum bemüht sich die Regierung nicht, es den Unternehmen leichter zu machen, um den allgemeinen Wohlstand zu heben? Sie müssen zugeben, dass die Bürokratie hier reichlich schwerfällig ist«, fügte er freimütig hinzu.
    Olivera ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Eingefahrene Systeme lassen sich nicht über Nacht ändern.«
    »Aber es ist ein reiches Land, wirklich, reich an Bodenschätzen, meine ich.«
    »Das stimmt, Kevin. Sie haben Recht. Guyana ist reich an unerschlossenen Bodenschätzen, und wenn wir ehrlich sind, gehören den Indios die Rechte daran – historisch gesehen, wenn auch nicht juristisch –, weil sie die eingeborene Bevölkerung sind.« Olivera zuckte die Schultern. »Solche Bemerkungen sind bei meinen verehrten Kollegen nicht sehr beliebt.«
    »Oder bei Unternehmen und Investoren, nehme ich an. Auf wessen Seite stehen Sie also?« fragte Madi.
    Er lachte. »Mein liebes Kind, ich war Idealist und glaubte an den Sozialismus und an den Grundsatz, dass das Volk regieren soll. Eine wunderbare Idealvorstellung. Und eine höchst unglückliche Realität. Jetzt stehe ich nur noch auf meiner Seite. Ich kümmere mich um mich selbst. Das ist dieser Tage in Guyana Mode.«
    Der Oberst schaute auf die Uhr. »Ich sollte lieber mal auf der Brücke nach dem Rechten sehen.« Er kippte den Rest seines Drinks herunter und warf den Plastikbecher in den Fluss.
    Connor merkte, dass der Oberst wieder in die Rolle des liebenswürdigen Gastgebers zurückgeschlüpft war. Dass der Oberst die Rechte der Indios an ihrem Land und den Bodenschätzen anerkannte, erstaunte Connor. Das passte nicht recht zu der Eigennützigkeit, die dieser Mann ausstrahlte, und würde

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