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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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derzeit nur auf wenige Prozent.
     
    Mit solchen Gedankenblitzen warf ich auch um mich, wenn ich neue Kundschaft werben wollte, und nicht immer nahm ich für solche Bagatellen Honorar. Auch im Lebensmittelladen wird bisweilen die eine oder andere appetitanregende Kostprobe angeboten. Ich konnte mir das, was mir die Kundschaft schuldig war, immer noch holen, wenn sie an der nächsten Ecke kehrtmachte und mich um eine etwas ausgefeiltere Synopsis bat.
    Kurze Ideen für ein Buchprojekt schrieb ich auf einen Zettel oder eine Papierserviette und gab sie einem Autor oder angehenden Schreiberling zum Beispiel für den Gegenwert einer Taxifahrt. Für eine Fahrt nach Tonsenhagen zahlte ich mit folgender kurzer, auf die Rückseite einer Restaurantrechnung gekritzelter Projektbeschreibung:
    Kinderbuch (ca. 100 Seiten), das nur aus Fragen besteht, hierarchisch geordnet nach Themen und Unterthemen.
    Das war alles, aber es reichte, um den Blutdruck eines notorisch ideenlosen Menschen auf Hochtouren zu bringen. Der zufällige Kunde glaubte mir eine geniale Idee zu verdanken. Ich hatte klargestellt, daß er kein normales Quizbuch schreiben sollte. Es ging darum, daß die Kinder, für die er schrieb, sich auf eigene Faust zu den Antworten durchdenken sollten. Du solltest mindestens ein Jahr für dieses Projekt reservieren, sagte ich, als ich ins Taxi stieg, das ist die Bedingung. Ich wußte, daß er gründlich war. Ich wußte auch, daß er nicht sehr schnell dachte.
    Mehrere Male kam es vor, daß ich kleinere Leckereien, die seit Jahren bei mir herumlagen, zusammenfaßte und als große Wundertüten in Umlauf brachte, etwa eine Kollektion, der ich den Titel 26 Allegorien von A bis Z gab. Ich bekam dafür zehntausend Kronen, keineswegs zuviel für eine Bündel Notizen, die ausreichten, um ein ganzes Autorenwerk auf den Weg zu bringen.
    Ein Erbe aus der Zeit, in der ich mich immer wieder von den Stimmen aus dem Kopf befreien mußte, waren die 52 Dialoge. Auch darin lag fast ein komplettes Œuvre verborgen, ich nahm angemessene fünfzehntausend Kronen. Zwei dieser Dialoge sind bereits als Hörspiele gesendet worden, einer wurde kürzlich auf der Nationalen Scene in Bergen als Einakter aufgeführt, von drei Dialogen kenne ich eine gedruckte Fassung. Sie waren alle ein wenig bearbeitet und weiterentwickelt worden, natürlich. Bei einem handelte es sich um ein längeres Gespräch, fast schon um eine Lebensbilanz, zwischen siamesischen Zwillingen, besonderes Gewicht lag dabei auf der Verwendung der Pronomen »ich« und »wir«. Die siamesischen Zwillingsschwestern waren eine medizinische Sensation, da sie zwar mehr als sechs Jahrzehnte zusammenlebten, im Laufe der Zeit jedoch fast diametral entgegengesetzte Lebensanschauungen entwickelten. Als ich die Idee dazu niederschrieb, dachte ich kurz daran, eine der Schwestern mit dem LSD- Syndrom auf die Welt kommen zu lassen, es wäre dann auch leichter gewesen, sie voneinander zu unterscheiden; ich nahm davon Abstand, weil es darum ging, daß in einem Stück Fleisch zwei individuelle Seelen inkarniert waren. Dizzie und Lizzie waren zwei vollständig autonome Wesen, die zum Zusammenleben in einem einzigen Leib verdammt waren. Ab und zu stritten sie sich deshalb wütend und laut, oft waren sie tagelang sauer aufeinander, dann schliefen sie nachts schlecht, doch sie verletzten einander nie physisch.
    Wenn ich glaubte, daß ein Autor genug Ausdauer besaß, um sich viele Jahre hinzusetzen und ein monumentales Romanwerk von, sagen wir, sieben- bis achthundert Seiten zu verfassen, konnte ich ihm dafür eine detaillierte Synopsis von an die dreißig Seiten liefern. Eine etwas bescheidenere Idee verkaufte ich für zwanzigtausend Kronen an einen bereits gut etablierten Schriftsteller. Ich hatte der Synopsis die Überschrift Die kleine Menschheit gegeben. Stark verkürzt geht es darin um folgendes:
     
    N achdem das gefürchtete Amazonas-Virus - es stammt vermutlich von einem Seidenaffen - innerhalb weniger Monate fast die ganze Welt ausgerottet hat, besteht die Menschheit nur noch aus 339 Individuen. Der Kontakt zwischen diesen Menschen wird per Internet aufrechterhalten.
    Die gesamte Menschheit redet einander mit Vornamen an. Derzeit lebt in Tibet eine Kolonie von 85 Personen, 28 hausen auf einer der kleineren Seychelleninseln, 52 im Norden Alaskas, nicht weniger als 128 auf Spitzbergen, elf in den Überresten von Madrid, eine sechsköpfige Familie in London, dreizehn in der chilenischen Bergwerksstadt

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