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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Aber angenommen, die Autoren schulden der Spinne Geld. Viel, sehr viel Geld.
    Ich fand die Vorstellung, daß jemand mich für gutgläubig hielt, entsetzlich; es war eine Qual, mit jemandem zusammenzusitzen, der sich für klüger als ich hielt. Ich fand den Gedanken, mit der Spinne identifiziert zu werden, weniger beängstigend als die Vorstellung, jemand könnte glauben, mich durchschaut zu haben. Der Gedanke war mir unerträglich.
    Das erscheint mir kaum als ein Problem, sagte ich. Selbst, wenn er sein Geld bei den Autoren nicht mehr eintreiben kann, wird er genug haben, um zu überleben. Und ich sehe überhaupt keinen Grund, weswegen du oder ich oder gar das lesende Publikum sich Sorgen machen sollten.
    Es ärgerte mich, daß ich mich nicht besser ausdrücken konnte, aber mein Mund war wie ausgedörrt.
    Luigi schaute mir in die Augen. Was haben sie vor, Petter? Stell dir vor, es ginge um einen Plot. Und benutze deine Phantasie.
    Ich sagte: Natürlich versuchen sie, ihn umzubringen.
    Er nickte. Sie heuern einen Killer an. Das ist hierzulande nicht schwer.
    Der Weißwein war längst gebracht worden, ich hatte die Flasche schon mehr als zur Hälfte geleert. Jetzt fragte ich: Glaubst du nicht, daß die Spinne sich das alles überlegt hat?
    Sicher, sagte Luigi, ganz sicher, denk nur an die vielen raffinierten Plots, die er schon ausgeheckt hat. Er könnte versteckte Kameras und Wanzen benutzt haben. Wenn man ihn aus dem Weg räumt, erfährt vielleicht die ganze Welt, welche Romane auf ihn zurückgehen. Jeder einzelne Satz, den er geliefert hat, wird der Öffentlichkeit vorgelegt werden, vielleicht im Internet, und viele Autoren werden in ihrer Schande ertrinken. Vielleicht hat er nur deshalb so viele Jahre durchgehalten, weil seine Tätigkeit auf der Selbstliebe der Schriftsteller beruht. Und übrigens hat er viel Gutes geliefert, das wollen wir nicht vergessen. Zumindest uns Verlegern wird er fehlen.
    Ich mußte lachen und fragte: Worüber reden wir hier eigentlich? Meinst du wirklich, es gibt Menschen, die zu einem Mord bereit sind - nur um dann in ihrer Schande zu ertrinken, wie du sagst?
    Aber nein, Petter. Jetzt enttäuschst du mich. Die Spinne muß nicht die fürchten, die sich schämen, die hat er noch immer fest im Griff.
    Mir ging ein Licht auf. Es war peinlich, aber ich würde ihn nicht noch einmal enttäuschen. Ich sagte:
    Du hast recht. Es sind natürlich die Schamlosen, vor denen sich die Spinne in acht nehmen muß. Es gibt auch einen Markt für den Ruhm der Schande, und er wächst. Als ich jung war, gab es ihn so gut wie nicht, aber die Zeiten ändern sich. Selbst die Japaner begehen nicht mehr Harakiri. Ich finde das peinlich, dekadent. Immer mehr Menschen genießen die Schande, sie bringt sie in die Schlagzeilen und macht sie berühmt. Gut, Luigi, das war richtig gedacht.
    Er nickte, dann sagte er: Sie schulden ihm für alle Zeit Tantiemen, vielleicht zehn, vielleicht zwanzig Prozent ihrer Einnahmen. Die Autoren haben auch nichts Verbotenes getan, das solltest du nicht vergessen, sie kommen nicht ins Gefängnis, weil sie ein paar Romanideen gekauft haben. Aber mit den Jahren werden sie geizig, und aus dem Jenseits kann die Spinne das Geld, das sie ihr schulden, nicht mehr eintreiben. Oder glaubst du, er hat sich einen Erben zugelegt, Petter? Glaubst du, so weit hat er gedacht?
    Aber nicht doch. Ich hatte nur einen großen Fehler begangen, zugegeben einen peinlichen. Ich hatte nur vergessen, mit den Schamlosen zu rechnen.
    Dann hat er trotzdem noch eine Möglichkeit, sagte ich. Er kann verbreiten lassen, daß er auf alle Zahlungen verzichtet. Dann ist die Gefahr vorüber, dann sind alle Gefahren vorüber, und die Autoren haben keinen Grund mehr, ihn zu ermorden.
    Er zuckte mit den Schultern. Lächelte er, oder lächelte er nicht? Ich fürchte, er ist zu weit gegangen, sagte er. Offenbar gibt es schon Pläne, ihn fertigzumachen.
    Fertigmachen. Fertigmachen!
    Ich dachte daran, wie oft ich als Kind fertiggemacht worden war, an die vielen Prügel, die ich eingesteckt hatte. An Ragnar, der mir ein Loch im Kopf verpaßt hatte, das im Krankenhaus mit zwölf Stichen genäht werden mußte.
    Ich warf einen Blick auf den Platz vor der riesigen Basilika und entdeckte sogleich den kleinen Mann mit dem Filzhut. Der Homunculus lief auf dem Platz hin und her und schwenkte seinen dünnen Spazierstock, als handelte es sich um ein scharfes Schwert, doch niemand achtete auf ihn. Ich dachte, er sollte sich zusammenreißen.

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