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Der Geschmack von Glück (German Edition)

Der Geschmack von Glück (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Glück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer E. Smith
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was sie sagen wollte. Wie auch, wenn sie nicht mal wusste, wie sie sich fühlte? Jahrelang hatte sie Fotos von ihm betrachtet und Interviews mit ihm gelesen, hatte sein Leben aus der Ferne beobachtet und sich überlegt, wie es wohl wäre dazuzugehören. Aber da sie ihm jetzt so nahe war, wollte sie nicht daran denken, dass er sich womöglich gar nicht freuen würde, sie zu sehen – das war zu niederschmetternd.
    Er hatte seine Vaterschaft nie geleugnet – jedenfalls nicht öffentlich –, sie allerdings auch nie anerkannt. In den Augen der Welt war sie also weiterhin ohne Vater und er ohne Tochter. Man konnte schlicht nicht wissen, wie er reagieren würde, wenn sie vor seiner Tür stand. Würde er sie womöglich erkennen? Würde sie ihn erkennen? Nicht bloß wie auf einem Zeitungsfoto, sondern im tieferen Sinn; würden sie einen Funken Vertrautheit spüren, Zusammengehörigkeit, irgendein Anzeichen, dass sie nicht bloß zwei Fremde waren, die sich im Türrahmen gegenüberstanden? Sondern Blutsverwandte?
    Ellie war sich nicht sicher. Immerhin konnte sie sicher sein und war dankbar dafür, dass er noch nicht wusste, was gestern vorgefallen war, dass sie wenigstens seinen Namen noch nicht in die Nachrichten gebracht hatte. Aber so vieles war ungewiss.
    »Willst du mit mir üben?«, fragte Graham, setzte sich gerade hin und streckte die Brust vor. Er zog eine Augenbraue nach unten und schürzte übertrieben ernst die Lippen. »Hallo, junge Dame«, sagte er, und seine Imitation ihres Vaters war so gelungen, dass sie ihn bremste.
    »Hör auf«, sagte sie. »Das geht so nicht.«
    Graham entspannte sich wieder. »Also gut, was dann?«
    »Ich schätze, ich klopfe einfach an und warte, was passiert.«
    »Immerhin hast du den Überraschungseffekt auf deiner Seite.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Er wird völlig unvorbereitet sein, und je nachdem, wie er reagiert, entscheidest du, wie du weiter vorgehst.«
    »Vielleicht.« Sie schaute wieder aus dem Fenster.
    Am Ortsrand hing der Duft von Fisch und Meeresfrüchten schwer in der Luft, wehte durch die offenen Busfenster. Vor ihnen waren die Straßen voller Menschen, und Ellie bereute es plötzlich, die Feiern in Henley zu verpassen. Flaggen waren über den langen Gartentischen aufgereiht, und über den Geschäften kringelten sich ein paar Rauchfahnen in den Himmel.
    Graham sog den Duft ein. »Muss ein Muschelessen sein«, sagte er, als der Bus vor der viel prachtvolleren Touristeninformation hielt, in der man wahrscheinlich viel freundlicher willkommen geheißen wurde. Ellie war nicht wohl bei dem Gedanken, sich mit Graham durch Menschenmassen schieben zu müssen, denn er würde sicher unnötige Aufmerksamkeit erregen, und als sie ausstiegen, reichte sie ihm seine Sonnebrille, die er auf dem Sitz liegengelassen hatte.
    »Nicht so gut wie der Schnurrbart«, sagte er beim Aufsetzen, »aber muss reichen.«
    An der Bushaltestelle hing ein Stadtplan, und Ellie sah, dass es nicht weit war bis zu dem Haus, das auf einer kleinen Halbinsel direkt nördlich der Einkaufsstraße lag. Sie müssten zwar von hier quer durch die Stadt gehen, aber wenn sie die belebten Straßen erst hinter sich hatten, war es nicht mehr weit. Sie folgte Graham in Richtung Festplatz und hielt sich die rote Eingangstür vor Augen, wie ein Quarterback beim Pass die Touchdown-Zone, versuchte sich trotz des Lärms, der Musik, des Essensduftes darauf zu konzentrieren.
    »Ich könnte erst mal ein Hummerbrötchen gebrauchen«, sagte Graham, als sie bei den Essenstischen ankamen, in einem Meer roter, weißer und blauer Hemden. Dutzende Klapptische waren aneinandergestellt und erstreckten sich über die gesamte Länge der Hauptstraße, doch die Feier bezog auch Bürgersteige und Geschäfte mit ein. Überall rannten Kinder herum, auf Wagen oder Fahrrädern, mit Wasserballons oder Keksen in der Hand, die meisten unbeaufsichtigt, weil ihre Eltern sich dem Essen oder Biertrinken widmeten.
    Ellie versuchte sich zu erinnern, wann sie zuletzt etwas gegessen hatten, und als ihr klar wurde, dass es das geschmolzene Schokoladenkonfekt auf dem Boot gewesen war, fing auch ihr Magen an zu knurren.
    Als sie den ersten Tisch erreichten, blieb Graham stehen. »Eine Fata Morgana«, scherzte er. »Wie lange genau waren wir schiffbrüchig?«
    Die blau karierte Tischdecke verschwand fast unter all dem Essen: Miesmuscheln, Austern, Garnelen, aber auch Hotdogs, Hamburger und Pommes frites, Kartoffelsalat und Maiskolben und

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