Der Gewinner Geht Leer Aus
noch?«
»Das weiß ich nicht«, sagte sie widerwillig – die Intensität seines Blickes zwang sie zu einer Antwort.
»Parker hat gesagt, sein Rückgrat ist gebrochen. Hat er Schmerzen?«
»Er ist bewusstlos. Und er hat eine Wunde auf der Stirn.«
»Lassen Sie ihn nicht sterben!« flehte Brock und begann zu weinen. »Ich weiß, dass wir es nicht verdient haben, ich weiß, es war schrecklich, es ist alles so aus dem Ruder gelaufen, aber bitte lassen Sie ihn nicht sterben!«
Verblüfft und trotz allem berührt sagte sie: »Aber … aber Sie sind doch auch verletzt. Was ist mit Ihnen ?«
»Ich liebe ihn!«
Sie zuckte zurück vor diesem Aufschrei. Jetzt noch, als sie mit der Post und den Einkäufen die Treppe hinaufging und an sich den seltsamen Wortwechsel im Keller des Hauses am Rand von Philadelphia erinnerte, zuckte sie zurück.
Seine Liebe zu Matt Rosenstein war das einzige, was für Brock zählte. Die Intensität, die Nacktheit, ja auch die Selbstlosigkeit dieser Liebe waren heftiger als Pams Wut, als ihr Wunsch nach Rache und ihr natürlicher Widerwille gegen die Art von Liebe, die Brock ihr enthüllte.
Aber was sollte sie tun? Was konnte man tun?
»Ich zahle«, versprach Brock. »Ich schwöre Ihnen, wenn Sie dafür sorgen, dass Matt am Leben bleibt, werde ich Sie für alles bezahlen. Ich zahle für Ihre Kinder, ich zahle für alles, aber sorgen Sie dafür, dass Matt am Leben bleibt!«
Ihr Mann war tot. Die Versicherung war nicht der Rede wert, und sie war Hausfrau mit drei Kindern und ohne Berufspraxis, ohne irgendwelche verwertbaren Fähigkeiten. Rosenstein war schrecklich gewesen, unglaublich brutal, aber Brock war nicht grausam, er hatte versucht, Rosenstein zurückzuhalten, er hatte sich in diesem ganzen Alptraum anständig verhalten. Jetzt wurde ihr, während sie ihm zuhörte, überdeutlich bewusst, in welcher Situation sie sich befand, aber was konnte sie tun? Rosenstein war dort oben, bewusstlos, vielleicht schon tot.
»Ich kenne einen Arzt«, sagte Brock. »Geben Sie mir ein Telefon. Ich werde ihn anrufen, er wird sich um alles kümmern.«
Das Mitleid, das sie empfand, galt ebensosehr ihr selbst wie ihm. Widerwillig sagte sie: »Ich kann einen Krankenwagen rufen.«
»Nein! Dann kommen auch die Bullen, wir wandern in den Knast, und ich werde Matt nie wiedersehen! Dieser Arzt, den ich kenne, wird uns helfen.«
Am Kopf der Treppe wandte sie sich nun zum Esszimmer, legte die Post auf den Tisch und ging zur Küche an der Vorderseite des Hauses. Aus dem Schlafzimmer an der Rückseite hörte sie den Fernseher: Matt sah sich seine Seifenopern an. Nachdem sie die Eiscreme und die Milch in den Kühlschrank gestellt hatte, ging sie nach hinten, stieß die Tür auf und sah Matt im Rollstuhl schlafend vor dem Apparat sitzen.
Matt schlief viel in letzter Zeit, eigentlich immer mehr im Lauf der Jahre; nie hatte er sich mit seiner Lähmung richtig abgefunden, aber er hatte auch nie dagegen aufbegehrt und versucht, ein anderer zu werden. Jetzt war er bloß noch ein armseliges, aufgeschwemmtes Wesen, so etwas wie eins dieser Geschöpfe, die auf dem Grund in einer Höhle hausen, verbittert und so voller Selbstmitleid, dass in seinem Leben kein Platz mehr war für irgend jemand anders, der Mitleid mit ihm hätte haben können.
Pams Hass auf Matt, ihr Wunsch nach Rache, war schon längst verschwunden, doch sie würde nie etwas anderes als Abscheu empfinden können für den Menschen, der er jetzt war. Sie wusste, dass nur die Lähmung ihn davon abhielt, derselbe grausame, arrogante Scheißkerl zu sein wie damals, als er in ihr Haus eingebrochen war. Das einzige Gute an Matt Rosenstein – jetzt, früher oder in Zukunft – war Paul Brock, und das wussten sie alle drei.
Sie ließ Matt vor dem Fernseher schlafen und ging hinauf in die zweite Etage. Die dritte gehörte Paul, dort waren sein Wohn- und Schlafzimmer und seine Werkstatt, doch in der zweiten Etage wohnte sie. Als die Kinder aufs College gegangen waren, hatte sie eines ihrer Zimmer zu einem Wohnzimmer umgebaut, mit einem eigenen Fernseher, den sie allerdings nicht oft benutzte. Jetzt hörte sie Musik, las einen englischen Roman und wartete auf den Abend.
Der Name des Mannes war Parker.
Gewöhnlich kamen sie nur zum Abendessen zusammen. Pam kochte, Paul kam von der Arbeit nach Hause und schob Matt an den Tisch. Matt war von der Taille abwärts gelähmt und konnte selbständig essen. Meist starrte er finster auf seinen Teller, stopfte das Essen
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