Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Tatsache außer acht ließ, daß er keine eigenmächtige Entscheidung getroffen hatte, sondern sein Vorgehen mit dem Expeditionsleiter Scott Fischer abgestimmt hatte.
Noch mehr Grund zur Verwunderung hatte Boukreev, nachdem er von einem Interview hörte, das sein Co-Autor Weston DeWalt im März 1997 mit Jane Bromet führte. Sie war zum Zeitpunkt der Katastrophe Fischers PR-Agentin, und ihr hatte dieser die Einzelheiten der Expeditionsplanung besprochen. Hier der Wortlaut des Interviews:
Bromet: Ich möchte Ihnen etwas sagen. Ich weiß zwar nicht, ob ich es soll, aber daß Anatoli wieder hinaufging, das war, nun, das war abgemacht; es war Teil des Plans.
DeWalt: Was meinen Sie mit »Plan?«
Bromet: Ich meine, Scott sagte zu mir – als er eines der möglichen Szenarien entwarf – im Fall von Problemen sollte Anatoli rasch absteigen und dann mit Sauerstoff oder was sonst nötig wäre wieder aufsteigen.
DeWalt: Wollen Sie damit sagen, daß Scott das vor dem Gipfelvorstoß zu Ihnen sagte?
Bromet: Ja, im Basislager, ein paar Tage vorher (ehe ich das Basislager verließ).
DeWalt: Ich verstehe. Scott sagte, falls es Schwierigkeiten gäbe, sollte Anatoli hinunter und die absteigenden Kletterer versorgen.
Bromet: Ja, das sagte er.
DeWalt: Haben Sie das Jon Krakauer gesagt, als er Sie interviewte? Genauso, wie Sie es jetzt mir gesagt haben?
Bromet: Ja.
Am 29. Mai erschien eine Rezension von Jon Krakauers Buch »In eisige Höhen« im Wallstreet Journal . Der anerkannte Autor und Bergsteiger Galen Rowell schrieb über Krakauers Einschätzung von Boukreevs Rolle bei den Ereignissen am Everest:
»Anatoli Boukreev wird hier als sturer russischer Bergführer geschildert, der seinen Schutzbefohlenen nicht beisteht und in unverantwortlicher Weise auf den Gebrauch von Sauerstoff verzichtet. Nach der Krise erscheint er als unzuverlässiger, seiner Aufgabe zu guter Letzt aber doch noch gerecht werdender Mitarbeiter und nicht als der geradezu übermenschliche Held, zu dem ihn vergangene Epochen wohl gemacht hätten. Während Mr. Krakauer schlief und kein anderer, sei es Führer, Kunde oder Sherpa, die Kraft und den Mut aufbrachte, das Lager zu verlassen, unternahm Mr. Boukreev in einem nächtlichen Blizzard auf über 8000 Meter Höhe mehrere Alleingänge, um drei todgeweihte Kletterer zu bergen. Das Time -Magazin ließ ihn in seiner dreiseitigen News-Story unerwähnt, nachdem eine Dame der New Yorker Gesellschaft aus unerfindlichen Gründen nicht zugeben wollte, daß er sie gerettet hat.
Mr. Boukreev erntet herbe Kritik, weil er viel früher als die Kunden abstieg. Obwohl Jon Krakauer Anatoli Boukreev gewisse Stärken zugesteht, versäumt er es, das grandiose Bild einer der erstaunlichsten Rettungsaktionen in der Geschichte des Alpinismus zu entwerfen, wenige Stunden nach der Ersteigung des Everest, ohne Sauerstoff, im Alleingang von einem Mann vollbracht, den viele als den Tiger Woods des Himalaja-Bergsteigens bezeichnen. Mr. Boukreev hat viele der höchsten Gipfel der Welt im Alleingang bestiegen, in weniger als einem Tag, im Winter und immer ohne Sauerstoff (aus Gründen persönlicher Ethik). Er, der den Everest bereits zweimal bezwungen hatte, sah Probleme der Kunden beim Abstieg voraus. Da er wußte, daß sich fünf andere Führer auf dem Gipfel befanden, richtete er es ein, genügend ausgeruht zu sein, um bei einem Notfall eingreifen zu können. Sein Heldentum kam nicht von ungefähr.«
Nachwort
Ehe Scott Fischer zu seiner Everest-Expedition 1996 aufbrach, sagte er zu seiner Geschäftsführerin Karen Dickinson: »Wer kann wissen, was dort oben alles passieren wird?« Und wir fragen nun: Was ist dort oben passiert?
Von den dreiunddreißig Kletterern, die am 10. Mai 1996 den Mount Everest von Süden aus bestiegen, kehrten nur achtundzwanzig zurück. Von der Mountain-Madness-Expedition kam Scott Fischer ums Leben. Von Rob Halls Adventure-Consultants-Expedition starben Rob Hall, der Führer Andy Harris und zwei seiner Kunden, Doug Hansen und Yasuki Namba.
Drei der überlebenden Teilnehmer, Sandy Hill Pittman, Charlotte Fox und Tim Madsen, entkamen nur knapp dem Tod. Beck Weathers und Makalu Gau trugen schwere Erfrierungen davon, so daß ihnen später Gliedmaßen amputiert werden mußten.
Lopsang Jangbus Beschreibung 38 von Scott Fischers Verfassung in den Abendstunden des 10. Mai läßt darauf schließen, daß Fischer an einem Höhenhirnödem litt. 39
Ob Fischer schon vorher in schlechter Verfassung war,
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