Der Gladiator
Gruppe Menschen kniete auf dem Pflaster und betete mit gefalteten Händen: »Dein Reich komme zu uns; denn dein ist die Macht und die Herrlichkeit, Amen.« Einer versuchte, Vitellius am Ärmel zu fassen; als er an sich hinabsah, blickte er in das lächelnde, Glück verheißende Gesicht eines alten Mannes. »Gräme dich nicht«, sagte der Alte, »denn das ist der Tag des Jüngsten Gerichts. Der Herr ist nahe. Das ist der Tag, an dem wir alle eingehen in sein Reich …«
Die Worte des Alten verwirrten den Gladiator, er verstand sie nicht, glaubte, jener hätte den Verstand verloren, riß sich los und stellte sich einem vor dem Haus hin und her rennenden Sklaven in den Weg. »Wo ist eure Herrin? Wo ist Mariamne?« – »Die Götter mögen ihr gnädig sein«, antwortete der Sklave mit über der Brust gekreuzten Armen und zeigte mit dem Kopf auf das brennende Palais.
»Hat denn keiner den Versuch gemacht, Mariamne zu retten?« Vitellius packte den Sklaven bei den Schultern und schüttelte ihn. »Herr, die Treppe zum Obergeschoß brannte bereits, als wir aus dem Schlaf aufschreckten. Das Schlafzimmer der Herrin weist zum Innenhof.« – »Wasser«, schrie Vitellius, »wir brauchen Wasser!« Verzweifelt sah er sich um. Der Sklave sagte: »Dieses Feuer werden auch tausend Löscheimer nicht ersticken!« – »Tölpel«, schimpfte Vitellius, »ich brauche das Wasser nicht zum Löschen.«
Das Becken im Innenhof! Vitellius überlegte kurz. »Ich muß es wagen«, sagte er zu Pictor, der seinen Herrn entsetzt anstarrte. Er rief noch: »Herr, laß ab davon!«, aber der Gladiator hatte mit einem Satz die Stufen des brennenden Porticus genommen und war wie ein Gespenst in den Flammen verschwunden. Die Umstehenden, die die Szene beobachtet hatten, schrien auf.
Vitellius kannte das Haus, er wußte den Standort jeder Säule, ahnte jeden Mauervorsprung. Er hastete, die rechte Hand vor den Mund gepreßt, zum Peristyl. Schneller als erwartet gelangte er in den Innenhof, schnappte nach Luft und sprang, so wie er war, in das Wasserbecken. Triefend stieg er heraus, lief zurück und blieb wie angewurzelt vor der Treppe stehen, die nach oben führte. Die hölzernen Stufen schwelten rotglühend. Von oben wälzte sich beißender schwarzer Qualm herab. Vitellius betrachtete seine nassen Sandalen, dann wanderten seine Augen über die glühende Treppe. Drei Sprünge, schätzte er, und er war oben. Noch einmal vergegenwärtigte er sich die Räumlichkeiten im Obergeschoß: links den Korridor entlang, dann die erste Tür rechts, er nahm Anlauf.
Vor dem brennenden Palais hatte sich inzwischen eine Menschentraube gebildet. Die Gaffer gestikulierten aufgeregt mit den Armen, sie zeigten auf die Fenster im Obergeschoß. Pictor schämte sich der eigenen Feigheit, verurteilte aber gleichzeitig den aberwitzigen Wagemut seines Herrn, der ihm als glatter Selbstmord erschien. Je länger Vitellius in dem brennenden Palais verschwunden blieb, desto resignierter klangen die Kommentare der Herumstehenden. »Er hat den Tod gesucht«, klagte eine Sklavin, »jetzt hat er ihn gefunden!«
Derweil kämpfte sich Vitellius durch einen Hades glühender Bögen und Säulen. So mußte der Schlund der Unterwelt aussehen, wo Pluto regierte. »Mariamne!« schrie er gegen das Prasseln, Knistern und Bersten an, »Mariamne!« Die Hitze, der Rauch, die Angst raubten ihm beinahe die Sinne. Er versuchte zu atmen, doch ein Pfropfen verschloß seine Luftröhre. Vitellius krümmte sich, kauerte sich nieder, preßte seine Stirne auf die Unterarme und rang nach Luft. Er fühlte, wie schwarzer Qualm in seine Lungen strömte, genug Lebenshauch für ein paar Schritte.
Die marmorne Statue der Muttergöttin Isis am Ende des Korridors blickte Vitellius huldvoll entgegen. Zu ihren Füßen regte sich ein Bündel. Der Gladiator schlug mit flachen Händen den Rauch vor seinen Augen beiseite. Jeder Schritt wurde nun zur Anstrengung, kostete Überwindung. Jetzt erkannte Vitellius den am Boden liegenden Fabius, er war bewußtlos. »Fabius!« schrie der Gladiator und schlug ihm mit den Händen ins Gesicht, »wo ist Mariamne?« – Keine Antwort. Hastig packte er einen Zipfel seines nassen Gewandes, wrang ihn über Fabius' Kopf aus, daß ihm eine schmutzige Brühe ins Gesicht klatschte. Fabius öffnete die Augen. »Wo ist Mariamne?« schrie Vitellius. Fabius sah ihn mit müdem Blick an, dann deutete er in Richtung der Veranda am Ende des Korridors.
Vitellius sprang auf, er fühlte einen
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