Der Gladiator
Nacht würde. Vitellius wußte, daß er seine bezahlten Beifallsklatscher hatte. Aber vielleicht würde der Kaiser seinem Lieblingsgladiator mehr Klatscher gekauft haben. Links, rechts sausten die Fäuste des Kämpfers in die Luft. Da betrat Arruntius Stella den Raum.
Der Festveranstalter des Kaisers pflegte bisweilen die Siege oder Niederlagen von Gladiatoren und das Ergebnis von Wagenrennen vorauszuträumen. Jedenfalls behauptete er das. Vielleicht war es aber auch nur der Beweis für Manipulationen und Bestechungen bei den Spielen. Beim Kampf Vitellius gegen Spiculus war ihm angeblich Spiculus als Sieger im Traum erschienen, und Arruntius hatte sich viel Mühe gegeben, seinen Traum in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.
»Deine Träume sind wohl eher Wunschträume«, sagte Mariamne. Arruntius lächelte verlegen. »Der Kaiser rezitiert die vorletzte Strophe«, sagte er teilnahmslos, »macht euch fertig.«
»Spiculus soll lieber seine letzten Minuten zählen«, rief ihm Vitellius hinterher. Arruntius verschwand.
Mariamne legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie sah ihn an, aber Vitellius blickte durch sie hindurch. Polyclitus gab seinem Schützling einen Klaps auf den Rücken: »Also dann, Mars und Jupiter mögen deinen Weg begleiten.« Vitellius erhob sich.
Vor dem schweren roten Vorhang, durch den die Begeisterungsrufe über den Vortrag des Kaisers drangen, stand Spiculus, kaum größer als er, aber wuchtiger, kräftiger, ein Fleischkoloß. Polyclitus, der ihn nicht aus den Augen ließ, nickte Vitellius ermunternd zu: »Alles in Ordnung.« Vitellius trat neben den Gegner, er sah ihn nicht an, aber er spürte seine unangenehme Nähe, und Spiculus ging es vermutlich nicht anders.
Fanfarenstöße schmetterten schließlich den nicht enden wollenden Beifall nieder, der Vorhang hob sich. Zwei Herolde geleiteten die Gladiatoren zur Tribüne des Kaisers. Vitellius erkannte Poppäa, der Platz des Prinzeps war leer. »Ave Cäsar, morituri te salutant!« riefen beide und streckten die Rechte aus. Dann schritten sie zur Spina, dem weißen Mittelbau der Arena, wo ein Quadrat mit rotem Marmor ausgelegt war. Vitellius und Spiculus stellten sich in die entgegengesetzten Ecken. Unter dem tosenden Beifall des Publikums sahen sie sich zum erstenmal an.
Bei dieser Gelegenheit, behaupteten viele Gladiatoren, wurde bereits der Gegner getötet – mit den Augen. Man versuchte, sich mit Drohgebärden gegenseitig in Angst zu versetzen, und wenn es erlaubt gewesen wäre, hätte sich ein jeder seine Siegestrophäen umgehängt, um dem anderen zu zeigen, wie erfolgreich er bisher war. In diesem Fall wären die Leistungsnachweise ausgeglichen gewesen, denn bis auf ihren ersten hatten beide alle Kämpfe gewonnen.
Der Gongschlag des Schiedsrichters forderte zum Kampf auf. Spiculus kam Vitellius entgegen. Seine über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen wirkten unangenehm. Er atmete laut durch den zugespitzten Mund und zuckte nervös mit der linken Schulter. Vitellius ließ ihn kommen. Starr und glänzend wie eine klassische Marmorstatue stand er da und wartete.
»Warum bei allen Göttern tanzt er nicht?« rief Polyclitus aufgeregt und sah Mariamne, die mit ihm auf der Tribüne Platz genommen hatte, ratlos an. Als hätte er Blei an den Sohlen, ließ er Spiculus mit einer Drehung in der Hüfte an sich vorbei, wandte sich um und wiegte seine Arme. Atemlose Stille auf den Rängen. Spiculus machte mit dem Oberkörper leichte Nickbewegungen, die sich bis zu seinen Fäusten fortpflanzten. Vitellius registrierte das, ohne darauf zu reagieren. Doch dann traf ein furchtbarer Schlag Vitellius' Stirn. Für einen Augenblick glaubte er, das Bewußtsein zu verlieren, aber sein Körper reagierte automatisch. Ohne daß er den Gedanken faßte, begann er zu tanzen, leicht von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen und mit den Fäusten im selben Rhythmus zu pendeln. Das hatten die Römer noch nie gesehen. Sie johlten, glaubten zunächst an eine Spielerei, bis sie bemerkten, daß eine durchdachte Taktik dahintersteckte. Spiculus mußte jede Bewegung des Gegners genau verfolgen, denn hinter jeder konnte sich ein Angriff verbergen.
Und da flog auch schon Vitellius' Rechte aus einer dieser Hüftbewegungen heraus auf Spiculus zu, traf ihn von unten in die linken Rippen, hart wie ein Rammbalken, der krachend gegen ein Stadttor fährt. Spiculus rang nach Luft. Vitellius tanzte weiter. Er sah, wie sein Gegner sich nach vorne krümmte und
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