Der Gladiator
Fabius ein. Er war über sechzig und gehörte seit seinem achtzehnten Lebensjahr dem Hause an, er wußte von jedem größeren Geschäft während der letzten zehn Jahre, kannte den Schuldenstand der meisten Kreditnehmer auswendig und war informiert, wo die Schiffe der hauseigenen Flotte mit welcher Ladung gerade kreuzten.
Von ihm erfuhr Vitellius, daß sich die Summe der ausgegebenen Kredite bei 780 Millionen bewegte, daß seine Flotte aus 152 Schiffen bestand und daß folgende Besitztümer vorhanden waren: vierzehn Landgüter mit Wein- und Olivengärten, drei Villen, zwei Insulae, also Wohnblocks, am Esquilin und in Transtiberim – zwei weitere waren beim Stadtbrand zerstört worden – und zwei von ursprünglich vier Stadthäusern, darunter sein ehemaliges Haus an der Via Appia. Summa summarum ein sagenhafter Reichtum, den zu verprassen ein Leben nicht ausgereicht hätte.
Aber derlei Gedanken beschäftigten Vitellius nicht. Er war siebenunddreißig und hatte ein Alter erreicht, in dem man beginnt, weiter als bis morgen zu denken. Vitellius führte die Geschäfte von der Villa in Tibur aus, und Cornelius Ponticus hatte die Aufgabe, seinen neuen Herrn in die Verwaltung des Unternehmens einzuführen. Mehrere Stunden täglich erklärte der Alte seinem jungen Herrn geduldig Bilanzen und Geschäftsvorgänge, und Vitellius besaß eine erstaunliche Auffassungsgabe. Zwar wurden Bank und Reederei in eigenen Gebäuden von Experten geleitet, die letzte Entscheidungsgewalt lag jedoch bei Vitellius, so wie einst Pheroras das Unternehmen gelenkt hatte.
Cornelius Ponticus trat mit einer höflichen Verbeugung ein und bat, die neuen Leibsklaven zur Auswahl vorführen zu dürfen.
»Wozu neue Leibsklaven«, fragte Vitellius, »haben wir nicht bereits mehr als vierhundert von diesem Volk?«
»Es ist üblich«, verteidigte sich der Alte, »daß mit dem Herrn des Hauses auch die Leibsklaven wechseln.«
»So, das ist üblich. Nun gut, dann will ich der Tradition nicht im Wege stehen. Um wie viele handelt es sich?«
»Nur um die Leibsklaven für dich, Herr, und für deine Gemahlin Tertulla, Friseur, Barbier, Kleiderhüter, Badesklaven, Nomenklaturen, Leibwächter und Vorkoster – insgesamt vierundzwanzig Leute.«
»Vierundzwanzig? Cornelius, ich glaube, du bist verrückt. Tagtäglich im Haus von vierundzwanzig Sklaven umgeben zu sein, bereitet mir Unbehagen. Können wir den Bestand nicht reduzieren?«
Der Alte antwortete lächelnd: »Herr, es sind nur zwölf für dich, zwölf sind für deine Frau bestimmt. Außerdem wird die Zahl der Sklaven dadurch nicht größer. Die alten verkaufen wir auf dem Markt.«
»So laß denn sehen, was du uns zugedacht hast.« Vitellius erhob sich von seinem marmornen Schreibtisch und ließ sich auf die mit lavendelblauen Polstern ausgestattete Liege fallen. Cornelius Ponticus klatschte in die Hände und winkte die Sklaven herbei.
»Einen Augenblick«, sagte Vitellius. »Rufe Tertulla herbei. Sie soll ihre Sklaven selbst begutachten.«
»Verzeiht, Herr«, antwortete der Alte, »das ist allein deine Aufgabe.«
»Ich wünsche, daß Tertulla erscheint!« sagte Vitellius mit bestimmtem Tonfall, während die neuen Sklaven vor ihm Aufstellung nahmen. Als Vitellius ihre zum Teil fremdartigen Gesichter sah, erkundigte er sich, ob alle der lateinischen Sprache mächtig seien. Dies wurde ihm versichert.
»Woher kommst du?« fragte Vitellius einen blonden Jüngling mit blauen Augen, der einen aufgeweckten Eindruck machte.
»Ich bin Germane und komme vom Rhein, wo eure Stadt Colonia Agrippinensis liegt.«
»O weh, die Geburtsstadt der unseligen Mutter unseres verblichenen Prinzeps! Und du, woher kommst du?« Vitellius zeigte auf eine kleine Sklavin mit zottigen schwarzen Haaren und einem liebreizenden Gesicht.
Die Kleine trat einen Schritt nach vorn und sprach mit niedergeschlagenen Augen: »Herr, ich heiße Kachel und wurde in Caesarea an der Küste Palästinas geboren, eure Eroberer brachten mich hierher.«
In diesem Augenblick betrat Tertulla das Arbeitszimmer. Sie trug ein gelbgrünes Kleid aus raschelnder Seide, und ihr Gesicht leuchtete in grellen Farben. Vitellius erkannte sofort, mit welchem Hintergedanken seine Frau spielte: Tertulla wollte so sein wie ihre Mutter Mariamne, jene Mariamne, die Vitellius so gefesselt hatte. Doch so wie sie sich hier gab, war sie nur ein peinlicher Abklatsch. »Ich möchte, daß du deine Sklaven selbst begutachtest«, sagte Vitellius, »schließlich mußt du mit
Weitere Kostenlose Bücher