Der Gladiator
verlaß dich drauf!«
Schneller als erwartet kam das Ende Kaiser Neros. Er sei aus Rom nach Antium, in seine Sommervilla, geflohen, hieß es. Auf dem Forum rottete sich eine unüberschaubare Menschenmenge zusammen. Pflastersteine flogen gegen die goldenen Statuen des Prinzeps. Nur die 35 Meter hohe Monumentalstatue am Eingang seines Palastes blieb verschont – sie war zu groß.
Dafür ließen die Römer ihre Wut an all jenen aus, denen der Kaiser, weil sie ihm nahestanden, auf dem Forum Standbilder errichtet hatte. Als erstes wurden die Statuen der Poppäa Sabina geschleift. Nero hatte sie unabsichtlich durch einen Fußtritt getötet und das Andenken an ihre Schönheit in zahllosen Standbildern bewahrt. Tigellinus, der sich unerkannt unter das Volk gemischt hatte, sah mit Schrecken seine eigenen Standbilder stürzen. Sprechchöre bildeten sich: »Seht nur welch ein Gaudium – jetzt fällt Tigellinus um!« Jedesmal, wenn eine seiner Statuen fiel und krachend in viele Teile splitterte, spürte Tigellinus einen Schmerz, als würden seine Eingeweide zerfetzt.
Von seinem erhöhten Standpunkt hinter der Rednerbühne konnte Tigellinus erkennen, wie sich eine Horde Halbwüchsiger einen Weg durch die Massen bahnte. Sie trieben einen gefesselten Mann vor sich her, schrien: »Vorwärts, vorwärts!« und traten ihn mit Füßen. »Bei allen Göttern!« entfuhr es dem Beobachter, »das ist Spiculus.« Die Jugendlichen hatten den Lieblingsgladiator Neros aus dem nahen Ludus magnus geholt. Schmährufe prasselten auf den Gefesselten nieder. Die Begnadigung durch den Kaiser nach seinem Kampf gegen Vitellius hatten die Römer noch immer nicht verwunden.
Spiculus wurde vor eine überlebensgroße Statue des Kaisers gezerrt, ein paar Halbwüchsige banden ihm die Beine zusammen; dann legten sie den Gladiator vor dem Standbild auf den Boden. Um den Hals der Nero-Skulptur schlangen sie Seile und versuchten damit, den Marmorkoloß ins Wanken zu bringen. Als Spiculus erkannte, welch grausamer Tod ihm bevorstand, erhob er ein furchtbares Geschrei, das aber rasch mit einem in den Mund geschobenen Tuch erstickt wurde. Da, auf einmal begann die riesige Statue zu wanken, die Halbwüchsigen an den Seilen johlten, während der Koloß langsam vornüberkippte und krachend den Gladiator unter sich zerschmetterte. Rinnsale dunklen Blutes, die unter den Marmortrümmern hervorliefen, verursachten bei einigen der Umstehenden ein Gefühl der Übelkeit. Inzwischen jagte ein Gerücht das andere. Die Prätorianer seien von Nero abgefallen, erzählten die Römer. Sollte sich dieses Gerücht bewahrheiten, so war dies das Ende, denn ein Kaiser ohne Leibgarde war verloren. In Spanien sollte angeblich der alte Haudegen Servius Sulpicius Galba von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen worden sein. Diesen Galba kannte kein Mensch, weil er die meiste Zeit seines Lebens als Feldherr und Provinzverwalter im Ausland verbracht hatte; angeblich stand er bereits im 73. Lebensjahr, und die Leute erzählten sich, seine Gliedmaßen seien von einer Gicht so verkrümmt, daß er weder Schuhe tragen könne noch ein Schriftstück halten. Welch ein Kaiser!
Auf der Suche nach neuen Informationen bahnte Vitellius sich einen Weg zum Forum. Da legte ihm ein Mann von hinten die Hand auf die Schulter: »Bist du nicht Vitellius, der Gladiator?« Vitellius nickte. »Ich bin Plinius und seit deinem Kampf gegen Pugnax am Fuciner See ein großer Bewunderer deiner Kunst. Leider sind wir uns bisher nie begegnet.«
»Das Bedauern liegt auch auf meiner Seite. Ich habe soviel von dir und deinen Studien gehört, daß es oft mein Wunsch war, daran teilzunehmen. Nun hat man lange nichts von dir gehört.«
Plinius lachte: »Kein Wunder. Ich führte unsere Legionen nach Palästina. Gewiß hast du vom Aufstand der Juden gehört. Ich begleitete Vespasian und seinen Sohn Titus. Man hat mich nach Rom geschickt, um zu erkunden, was hier eigentlich vor sich geht. Im fernen Palästina hört man die abenteuerlichsten Geschichten.«
Vitellius winkte ab: »Hier ist es nicht anders. Kein Tag, an dem nicht ein neues Gerücht, ein neuer Nachfolger des Kaisers die Runde macht. Nero starb schon tausend Tode, in Wirklichkeit amüsiert er sich vermutlich auf seinem Gut in Antium mit schönen Knaben.«
»Merkwürdig«, sagte Plinius und deutete zur Rednerbühne, »der da drüben, sieht der nicht aus wie Tigellinus? – Komm!«
Mit Gewalt drängten sich die beiden durch das lärmende Volk. »In der Tat, er
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