Der Gladiator
ihnen leben.« Die geschmacklose Bemalung überging er.
»Was kümmern mich die Sklaven«, antwortete Tertulla schnippisch, »wer seinen Dienst schlecht verrichtet, den lasse ich auspeitschen, und wessen Nase mir nicht gefallt, der wird auf dem Sklavenmarkt feilgeboten.« Bei diesen Worten zeigte sie mit dem Finger auf die kleine Schwarzhaarige und sagte: »Die zuballerst, die gefällt mir nicht. Weg damit!«
Vitellius sah seine Frau verständnislos an. »Was hast du gegen die Palästinenserin? Sie ist freundlich, jung und hübsch anzusehen.«
»Eben«, sagte Tertulla, »eben.«
Vitellius zog die Stirne kraus. »Hast du einen sachlichen Grund gegen sie vorzubringen?«
»Sie gefällt mir einfach nicht. Ich mag sie nicht.«
»Das Kind bleibt da!« stellte Vitellius ruhig, aber bestimmt fest, erhob sich und dankte mit einem Kopfnicken. Zusammen mit den Sklaven verschwand Tertulla. Im Hinausgehen zischte sie: »Sie gefällt mir einfach nicht!«
Cornelius Ponticus hatte die Szene schweigend beobachtet und sich wohl seine eigenen Gedanken gemacht. Als Vitellius ihn fragend ansah, so als wollte er sagen: »Ich habe das doch wohl richtig gemacht!« meinte der Alte: »Die Griechen haben ein treffendes Sprichwort. Es lautet: Gehorsam ist die Mutter des Gedeihens.« Vitellius lachte.
»Sie mag das Judenmädchen aus einem ganz bestimmten Grund nicht. Du weißt, warum?« Der Alte schüttelte den Kopf. »Nun«, fuhr Vitellius fort, »in jungen Jahren verliebte ich mich in die Tochter eines jüdischen Gladiators. Sie war schön wie ein Stern am Himmel, klein und zierlich. Unter Claudius wurden die Juden ausgewiesen. Du kennst Pheroras' Coup mit der kaiserlichen Getreideflotte. Ich habe sie nie wiedergesehen. Aber noch heute träume ich von ihr.«
»Warum hast du nie nach ihr geforscht?«
»Ich bin nach Griechenland gereist, ich habe sogar das Orakel von Delphi befragt – alles vergebens. Die Pythia sagte, sie befinde sich in einem fernen Land.« Während Vitellius redete, kramte Cornelius Ponticus uralte Schriftrollen hervor. »Du kennst den Namen des Schiffes, mit dem sie fuhr?« – »Gewiß«, sagte Vitellius, »das Schiff trug den Namen ›Eudore‹.« – »Das Schiff fuhr nach Caesarea«, sagte der Alte und zeigte auf eine Zeile der Schriftrolle. »Es fuhr nach Kirra«, widersprach Vitellius. »Lies selbst!« antwortete Cornelius Ponticus und hielt seinem Herrn die Schriftrolle vor die Augen.
»Bei allen Göttern«, rief Vitellius, »da steht es: Bestimmungshafen Caesarea. Warum in aller Welt nannte Pheroras mir einen anderen Ort und ließ mich nach Griechenland reisen? Was in aller Welt bewog ihn dazu?«
»Du kannst es dir wirklich nicht denken?« fragte der Alte, als sein Herr wortlos vor sich hinstarrte. »Pheroras war nicht nur ein kühler Rechner, er war auch ein eiskalter Planer. Ich habe ihn über vierzig Jahre beobachtet, ich glaube sagen zu können, ich kannte seine Gedanken. In diesem Fall bin ich ziemlich sicher: Pheroras wollte nicht, daß du das Mädchen wiederfindest. Schließlich hatte er eine Tochter im heiratsfähigen Alter, eine – wenn ich das so sagen darf – stolze und schwierige Person, die im Umgang mit Männern äußerst zurückhaltend war. Sie brauchte eine starke Persönlichkeit, einen Mann, den sie bewundern konnte. Dieser Mann warst du, Herr. Du warst keiner von den Weichlingen, die sich um Tertulla bemühten, in Wirklichkeit aber nichts anderes als Pheroras' Millionen im Auge hatten. Du warst der Mann, den er für seine Tochter ausersehen hatte. Aber du solltest dich erst bewähren. Als er bemerkte, daß du von seinen dunklen Geschäften wußtest, verlor er die Nerven. Er mißtraute dir, hatte Angst, daß du ihn verraten würdest, und setzte alle Hebel in Bewegung, damit du deinen nächsten Kampf verlörest. Da fiel er von Mörderhand …«
Vitellius dachte nach, blickte durch das Fenster in den von der Sonne verbrannten Garten; dann sagte er – und seine Stimme klang traurig: »Ich habe Tertulla nicht aus Liebe geheiratet, ich habe es aus Liebe zu ihrer Mutter getan.«
Der Schreiber Cornelius Ponticus nickte verständnisvoll und sagte: »Ich weiß, Herr, ich weiß.«
Wer geglaubt hatte, mit Neros Tod würde sich die verworrene Lage in Rom normalisieren, sah sich getäuscht. Im Gegenteil, die Zustände wurden immer undurchsichtiger. Zwar hatte der Senat Galba zum Kaiser proklamiert, doch der neue Prinzeps zog es vor, erst einmal die Situation vom fernen Spanien aus zu
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