Der Gladiator
errungen.«
»Pugnax?«
»Ja, Pugnax.«
»Du glaubst, ich werde gegen Pugnax kämpfen?«
»Es steht doch überall angeschrieben: Pugnax, zwanzig Siege, gegen Vitellius aus Bononia, Neuling.«
»Mögen Mars und Jupiter mir gnädig sein«, stammelte Vitellius. Pugnax, ausgerechnet Pugnax! Noch nie hatte er Pugnax im Training besiegt. Seine Erfahrung, seine List hatten ihn stets zu Fall gebracht. Pugnax war sein Todesurteil! Wer hatte diese Paarung aufgestellt? – Vitellius schwieg eine Weile. Auf einmal schoß es ihm durch den Kopf: Messalina! Er hatte die Kaiserin brüskiert, sich undankbar gezeigt. Das war die Antwort.
»Die Leute«, begann Rebecca, »rätseln natürlich, welche Ursache diese ungewöhnliche Paarung haben könnte. Die einen sagen, der Neuling sei ungewöhnlich begabt und werde auch Pugnax besiegen, andere wollen wissen, du hättest ein Strafgericht zu bestehen. – Warum bist du zu den Gladiatoren gegangen?«
»Was hätte ich tun sollen? Mir blieb keine Wahl.«
Weinend warf sich Rebecca dem Jungen in die Arme. »Du hättest es nicht tun dürfen! War dir das Beispiel meines Vaters nicht genug. Aber er hat den Dreizack nicht aus freien Stücken in die Hand genommen. Er hat es für mich getan. Du jedoch hast dich freiwillig gemeldet. Das ist ein Frevel gegen das Leben.«
»Nein, Rebecca, ich habe mich nicht freiwillig gemeldet. Frage nicht, warum, ich mußte es tun.«
»Du sprichst in Rätseln …«
»Ich kann es dir nicht sagen. – Vielleicht, wenn ich den Kampf gewonnen habe.«
Rebecca taumelte gegen Vitellius Brust. »Du wirst den Kampf nicht gewinnen, glaube mir. Du mußt fliehen, oder du liegst morgen im Spolarium des Circus maximus, eine unter vielen Gladiatorenleichen.«
»Fliehen, wo denkst du hin! Man würde mich suchen. Ich wäre ein Fugitivus, jeder, der mich erkennt, dürfte mich umbringen. Wäre das ein besseres Leben?«
»Ich habe alles vorbereitet, ich habe meine Ersparnisse verwandt und drüben, jenseits des Tibers, im Stadtviertel der Juden Leute bestochen, die dich aufnehmen werden, ohne Fragen zu stellen. Gehe in den vierzehnten Stadtbezirk, frage nach Kaatha, man wird dir helfen.«
Rebecca drückte Vitellius einen Kuß auf den Mund. »Viel Glück«, sagte sie noch, dann war sie in der Dunkelheit verschwunden.
»Rebecca!« rief Vitellius leise, »Rebecca!« Vergebens. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Pugnax, dieser verfluchte Pugnax! Fliehen? – Wohin? – Nach Hause, nach Bononia? – Unmöglich, dort würde man ihn zuallererst aufspüren. – Nach Transtiberim zu den Juden? – Das ginge nur eine Weile gut, dann würden sie ihn auch dort aufspüren.
Vitellius begann zu laufen, er rannte planlos durch die Stadt, als wären sie schon hinter ihm her. Doch er rannte nur vor sich selbst davon, vor seiner Entscheidung. Sein ganzes kurzes, junges Leben lief noch einmal vor ihm ab: seine Hilflosigkeit und Armut als Kind, die Freunde in Bononia, mit denen er gespielt hatte, die finstere Kesselflickerwerkstatt, der karge Lohn, sein Entschluß nach Rom zu gehen, das brodelnde, aufreizende Leben in dieser Stadt, die Begegnung mit Messalina, er, der Kesselflicker, mit der Frau des Kaisers in der Sänfte, schließlich nackt im Bett Messalinas, sein Training in der Gladiatorenschule, die Verletzungen, der Kampf ums Überleben.
Und da kam Rebecca, dieses kleine zierliche Mädchen, zerbrechlich wie eine Statuette aus Terrakotta, ihre dunklen Augen, die Sorge um ihn. Ihre Ersparnisse hatte sie aufgebraucht, um einen Unterschlupf für ihn zu finden. Warum tat sie das? Keine Frage, weil sie ihn liebte. Rebecca liebte ihn! Doch ihr Vorhaben war unvernünftig. Er hatte sich als Tiro, als Rekrut, vor dem Volkstribun verpflichtet und damit das Recht seines Herrn, also des Kaisers, über Leben und Tod anerkannt. Er mußte kämpfen.
Der Mut der Verzweiflung lenkte seine Schritte zu der Senke, in der die Gladiatorenkaserne lag. Es war weit nach Mitternacht, als er vorsichtig die Tür seiner Zelle aufstieß. Vitellius lauschte in die Dunkelheit. Ein widerwärtiges Schnarchen drang aus dem Innern. Vitellius kannte es von über hundert Nächten mit seinem Zellengenossen. Es war Pugnax. Er schlief. Der Gedanke, daß einer von ihnen den kommenden Tag nicht überleben würde, erschien ihm unerträglich. Er zog die Tür hinter sich zu.
K APITEL 4
L ärmend holperten hochrädrige Wagen die Via Triumphalis hinab zum Circus maximus. Die kerzengerade Straße, sonst Paradefeld für
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